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unserem Wahn gedacht, und alles wäre nicht so schlimm gewesen, wenn nicht meine Tochter eine gefährliche Gewissenswunde davongetragen hätte. Sie kann nicht vergessen, daß durch ihre Schuld ein Dutzend ihrer liebsten Menschen einen qualvollen Tod gefunden haben würden, wenn nicht der Hund uns gerettet hätte. Seitdem vergöttert sie den Hund. Die Erinnerung überkommt sie wie ein Fieberdelirium, dann schüttet sie dem unvernünftigen Tier gegenüber ihr Herz aus, dankt ihm auf den Knien als ihrem Schutzengel, und natürlich darf der Hund nicht von unserer Seite. Da sie malen gelernt hat, interessiert sie sich noch einigermaßen für Kunstwerke, und ich führe sie von Museum zu Museum, damit sie in dieser Welt der Farben sich ablenkt, während ich den Hund draußen spazieren führe.“

Ich tröstete den armen Greis so gut ich konnte durch den Hinweis darauf, daß die Natur in der Jugend geschmeidig ist, dann ging ich meiner Wege; doch noch lange dachte ich an das Schicksal des unglücklichen Mädchens und wünschte ihm eine Auferstehung aus dieser schlimmsten, der geistigen Not. – Wieviel von dieser Not wird der Krieg hinterlassen! Als mich dann aber wieder das geschäftige Straßenleben der holländischen Hauptstadt umwogte, als ich die wohlgenährten Gesichter dieses neutralen Volkes sah, kam mir eine andere Frage: Wenn diese junge Antwerpenerin solche Gewissenswunde davontrug, weil sie dem Tod ein Dutzend Menschen aussetzte, die doch schließlich gerettet wurden, wie mag es dann mit dem Gewissen derer aussehen, die aus Übermut, Hartnäckigkeit und aus anderen noch viel gemeineren Beweggründen ganze Völker wirklich in Tod und Verderben hineingejagt haben?

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Aurel von Jüchen: Frauenleben im Weltkriege. Xenien-Verlag, Leipzig 1915, Seite 123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:J%C3%BCchenFrauenlebenImWeltkriege.pdf/125&oldid=- (Version vom 1.8.2018)