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sie hervor: „Nein, das ist nicht seine Schrift!“ „Na, Lisbeth“, tröstete der Bauer, „machen Sie sich keine Sorgen! Er schreibt doch: es geht ihm gut.“ Dann nahm Lisbeth den Brief, packte ihre Brille wieder ein und ging.

Langsam, mit gebeugtem Rücken schritt sie durch den Tannenwald. Es war schon fast finster hier, aber sie kannte blind den Weg. Sie kannte auch die verschwiegene Stelle, wo zwischen düsterem Tannicht das weiße Kruzifix stand. „Es geht ihm gut“, murmelte sie öfter vor sich hin, als müsse sie sich an den vier Worten stärken. An dem Kruzifix machte sie halt, kniete nieder, und während ihr inneres Auge inbrünstig an dem Bild des Gekreuzigten hing, das ihre leiblichen Augen nur verschwommen sahen, zuckte es plötzlich durch den Nebel der ungewissen Sorge, der ihr Herz umhüllte, wurde es ihr plötzlich zur Gewißheit: Ihr Sohn, ihr Franz war tot, und deshalb ging es ihm gut. Sie sah seinen blassen Kopf vor sich, wie sie ihn so oft gesehen, seinen Mund umschwebte ein starres Lächeln, der Scheidegruß für sein Mütterchen, und schweigend küßte sie hier in weiter Ferne den Sohn, den sie mit dem Auge des Herzens schaute. „Es geht ihm gut“, flüsterte sie nochmal mit ruhigem, einförmigem Ton, dann raffte sie sich auf, und mit einem langen Blick auf das Bild des Heilands, als ob sie von diesem Abschied für ihr ganzes Leben nehmen müßte, ging sie, eine wunderbare helle Ruhe im Herzen, weiter durch den dunklen Tann. Zu Hause saß sie noch einige Zeit bei ihrer Kerze mit gefalteten Händen, dann legte sie sich müde zu Bett und hatte einen wunderbaren Traum: Nach heißem, ermüdendem Weg kam sie in einen lauschigen, traulichen Wald. Auf keiner Seite nahm dieser ein Ende, nirgendwo öffnete sich ein Blick auf sonnige Felder. Plötzlich stand sie vor einem schimmernden Haus, anscheinend einer Herberge, denn über der Tür las sie die Worte: „Zum ewigen Frieden.“ Darüber war ein Taubenschlag, wo Tauben vor ihrem Türchen aneinandergedrückt auf der Stange saßen und leise gurrten. Nun trat der Wirt aus der Tür, aber dieser wandelte sich aus einem

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Aurel von Jüchen: Frauenleben im Weltkriege. Xenien-Verlag, Leipzig 1915, Seite 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:J%C3%BCchenFrauenlebenImWeltkriege.pdf/129&oldid=- (Version vom 1.8.2018)