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irdischen Wirt in einen leuchtenden Cherubim. Einen roten Fleck hatte er auf der linken Brust, und nun erkannte sie in ihm ihren Sohn Franz. Er nahm sie heiter bei der Hand, führte sie ein in die Herberge, und hieß sie die staubigen Kleider ablegen. Da kam ihre alte, längst gestorbene Mutter herbei, um ihr zu helfen, doch ihre Kleider fielen von selbst ab, und ebenso ohne ihr Zutun stand sie da in einem Gewand von Licht. Dann sagte ihr Mütterchen lachend: „Hier kennt man keinen Krieg“, und führte sie in ein trauliches Stübchen, wo Franz bei einem Buche saß. Sie setzte sich ihm gegenüber, wie sie so oft gesessen, und ruhte und fühlte alle Wonne der Ruhe, der Geborgenheit, des Friedens. –

Als sie am anderen Morgen erwachte, blickte sie auf den Traum wie auf eine Verheißung selig lächelnd zurück, dann ging sie an die Arbeit auf den Tannenhof, und als sie abends vom Felde dorthin zurückkehrte, war wieder ein Brief für sie angekommen. Es war die amtliche Meldung vom Tode ihres Sohnes mit Worten der Anerkennung und dem Hinweis auf Gottes Willen. Frau Hartmann zog dafür ihre Brille nicht mehr hervor, denn sie hatte es ja gewußt. Ihre Tage flossen dahin, wie sonst, nicht einmal Trauerkleidsr kaufte sie sich, nur ihr Haar, das bis da hin grau gewesen, ward schlohweiß. Und als sie immer weltfremder wurde, und die Leute im Dorf sie sogar als einfältig bezeichneten, blieb sie doch in hohem Ansehen wegen ihres Sohnes, des Lehrers, der den Heldentod fürs Vaterland gestorben, und wenn ihre Bekannten ihn rühmten, dann leuchtete wohl ein Schimmer auf in ihren matten Augen, doch sie sagte nichts weiter, als: „Es geht ihm gut.“

Empfohlene Zitierweise:
Aurel von Jüchen: Frauenleben im Weltkriege. Xenien-Verlag, Leipzig 1915, Seite 128. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:J%C3%BCchenFrauenlebenImWeltkriege.pdf/130&oldid=- (Version vom 1.8.2018)