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Die neue Seele


Endlich einmal wieder machten wir, meine junge Freundin Helene und ich, einen Sonntagsspaziergang über die schöne Landstraße an den grauzackigen Bergen vorbei flußaufwärts. Der lachende Sonnenschein hatte manche Sonntagsbummler ins Freie gelockt, da plötzlich: Hupenton, Staubwolke, Benzinduft. „Natürlich“, sage ich, „solches Wildschwein darf nicht fehlen!“ Durch die verschwimmende Staubwolke des Autos traf mich ein Verachtungsblick Helenes, als sollte ich elektrisch hingerichtet werden. Was soll dieser Blitz? Ist sie prüde geworden, verträgt sie keinen harmlosen Scherz mehr? Sie hat doch einst herzhaft mit mir gelacht über die Ähnlichkeit von Wildsau und Auto: Sie rasen, sie grunzen, sie stinken. Nun dreht die Holde mir plötzlich den Nordpol ihrer Seele zu? „Solche Redensarten gehören sich nicht“, zürnte sie, „wie kann man ein Ding schmähen, das uns im Krieg so segensreiche Dienste geleistet hat, wie die Autos? Ist nicht der belgische Löwe, oder – besser gesagt – die belgische Wildkatze gezähmt worden, weil wir durch Autos eine Stromschnelle von Truppen in ihre Höhle ergossen? Haben die Autos nicht die Qualen der Verwundeten durch schnelle Beförderung verkürzt und die wackeren Krieger erfreut durch unmittelbare Zuführung von Liebesgaben?“ Also drum! dachte ich, das Wildschwein ist uns zum Wohltäter geworden, drum rufen wir jetzt „Hosianna“, wo wir früher „Kreuziget!“ schrien. So schnell konnte ich mich nicht bekehren. „Doch die Autos dienen Freund und Feind“, widersprach ich, „sie sind zum Beispiel von unseren Feinden

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Aurel von Jüchen: Frauenleben im Weltkriege. Xenien-Verlag, Leipzig 1915, Seite 129. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:J%C3%BCchenFrauenlebenImWeltkriege.pdf/131&oldid=- (Version vom 1.8.2018)