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wird Theodor ins Feld müssen, wenn nicht ihn sein Herzfehler befreit.“ „Das wäre zu verschmerzen“, rief sie entschlossen, „für ihn ist es fast wünschenswert. Er könnte durch den Krieg ein anderer Mensch werden, und wenn er fiele, hätte er dem Vaterland gedient.“ Ein Seufzer entrang sich ihrer Brust, wie stets, wenn die Rede auf ihren ältesten Sohn kam. Sie hatten ihn einst Theodor getauft im Jubel über dies Gottesgeschenk, und welch ein Schattenkind war er geworden! Obwohl der Vierundzwanzigjährige heute einen eigenen Hausstand führte, verdunkelte er noch immer das sonst so lichte Leben seiner Eltern. Sein Vater hatte sich von ihm losgesagt, seine Mutter brachte dies nicht übers Herz, sie half ihm immer wieder aus den Geldverlegenheiten, in die ihn zweifelhafte Geschäfte und liederlicher Lebenswandel führten. Sie behandelte ihn mit Engelshuld, obwohl er diese weder verdiente noch würdigte. „Sollte Theodor ins Feld ziehen“, mahnte sie jetzt ihren Mann, „so mußt du dich vorher mit ihm aussöhnen.“ „Abwarten!“ sagte dieser und verabschiedete sich, da er heute abend noch in einer Kirche die Orgel spielen mußte. — Für Frau Thea hatten die plötzlich an ihrem blauen Himmel aufgetauchten Kriegswolken etwas unheimlich Bedrückendes. Was hatte sie gestern auf der Reise nicht schon alles vom Kriege gehört! Von Basel ab, wo sie zur Morgenstunde weiterfuhren, war ihr Abteil nicht leer geworden von Reisegefährten, und alle, die Dicken und Dünnen, die Eleganten und Schäbigen, die Burgunder- und Wassergesichter sprachen nur vom Krieg. So redselig waren die Menschen nie gewesen. Wieviel Fragen, wieviel Ansichten, wieviele Gerüchte! „In Köln hätten französische Flieger die Rheinbrücke gesprengt“, „in Rußland herrsche Cholera“, „in Frankreich die Pest“, „die Reichsbank lehne den Ankauf von Wechseln ab“, und so fort mit Überzeugung und Zungengeläufigkeit.

Ihre Seele war geschüttelt worden wie ein Kaleidoskop, und auch in Berlin war der ganze Rhythmus ein anderer, rüttelnderer geworden. Nein, der Krieg war etwas

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Aurel von Jüchen: Frauenleben im Weltkriege. Xenien-Verlag, Leipzig 1915, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:J%C3%BCchenFrauenlebenImWeltkriege.pdf/16&oldid=- (Version vom 1.8.2018)