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dem Hause die todbringenden Kugeln auf ihren Eisenflügeln schrecklich pfeifend hin und her flogen, während der Wahn uralten Völkerhasses sich über ihnen austobte und ringsumher Vernichtung säte, feierte im dunklen Keller das alte Ehepaar die Auferstehung seiner Herzensfreundschaft. Alle Lieblosigkeiten der letzten Zeit baten sie einander ab, und wenn eins sich beschuldigte, wurde es vom anderen gegen sich selbst verteidigt. Die Gefahr, in der sie schwebten, hatten sie fast vergessen; „eine Mauer um uns baue!“ flehten gemeinsam ihre Herzen, und es war, als sei ihre Liebe zu solcher Mauer um sie geworden. — Gegen Mitternacht hörten sie die französische Artillerie den Berghang hinunter und weiter auf der Ziemersheimer Landstraße nach dem Zoologischen Garten zu in rasender Flucht abziehen. Anderthalb Stunden hindurch rasselten die Kanonen wie eine Eisenflut hinunter, doch noch immer flogen Schrapnells von Pfastadt her, und auf der anderen Seite grollte schrecklich der Isteiner[WS 1] Klotz, dazwischen rauhe Gewehrsalven, das zackige Geknatter der Maschinengewehre; es war den beiden, als führen sie auf einem Schiff, dessen Segel, losgerissen, wie toll im Sturm knallten und grollten, doch ihre Brust füllte nur der selige Gedanke an den sicheren Hafen, der sie jetzt erwartete. Auch die Sorge um Helene hatte einen guten Teil des Erschreckenden verloren. Alle Vernunftgründe wurden tausendfach verstärkt durch den Glauben, daß ihre Versöhnung, die Erneuerung ihres Lebensbundes, ein gottgefälliges Werk sei, und Gott sie jetzt nicht mehr strafen werde. War es ihnen doch oft, als habe Gott den Krieg gesandt, um ihre verstockten Herzen zu erneuern und zu vereinigen, und als Frank sich hiergegen sträubte und durchaus nicht für diesen Krieg verantwortlich gemacht werden wollte, schauderte auch sie zurück vor einer so selbstischen Auffassung, aber sie meinte doch: „Wir sind sicher nicht die einzigen Sünder, vielleicht müssen Millionen durch die Geißel des Krieges zur Tugend und Eintracht zurückgeführt werden. Wer weiß? Wir Menschen können nicht die verschlungenen Wege der Vorsehung

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Ilsteiner
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Aurel von Jüchen: Frauenleben im Weltkriege. Xenien-Verlag, Leipzig 1915, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:J%C3%BCchenFrauenlebenImWeltkriege.pdf/34&oldid=- (Version vom 1.8.2018)