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auf die in den Straßen befindlichen Wachen, die vorbeimarschierenden Truppen, und ein heißes Feuer von untenher war die schnelle Antwort des zur Raserei gereizten deutschen Männerzornes. Der grause Schnitter Tod stürmte im Laufschritt durch die Straßen und machte große Ernte. In der Villa Frank bebten wieder alle Herzen, und Herr Frank faßte den festen Entschluß: „Morgen früh verlassen wir alle die Stadt.“ Den Weg nach München wollte man einschlagen irgendwie, nur fort aus dieser Hölle! Allerhand Pläne wurden geschmiedet, Anordnungen getroffen, Koffer gepackt, doch zunächst galt es, sich für die Nacht wieder im Keller einzurichten. Mitternacht war längst vorbei, als man drunten die müden Glieder streckte, noch immer klang aus der Stadt das unheimliche Getöse, das Pfeifen, Zischen und Krachen in die angstvolle Stille der Villa, und erst gegen Morgen streifte der Engel des Schlafs durch den Kellerraum, und erquickte die von allen Nachtwachen und Ängsten zitternden Nerven durch ein leises Tröpflein seines Balsams.

Anhaltendes, schrilles Klingeln der Hausschelle weckte die Schlummernden in den unterirdischen Schlafgemächern. Ein alter Arbeiter der Spinnerei stand draußen und meldete, daß der Leutnant wie tot in der Bahnhofshalle liege. Ein Blitz hätte in dem Keller keine schlimmere Erregung verursachen können. Herr Frank war der erste, der sich entschlossen zusammenraffte, er stürzte aus dem Keller, und bald darauf hielt ein Auto vor dem Haus. Aber auch Helene, die sich anfangs mit herzzerreißendem Schluchzen zur Erde geworfen hatte, flog die Treppe hinauf und kam in Hut und Jäckchen wieder. „Ich fahre mit!“ rief sie. Vergebens, daß ihre Mutter davon abmahnte, daß ihr Vater sie voller Befürchtungen anstarrte, das bleiche Gesicht Helenens zeigte eine unbeugsame Entschlossenheit, und schon saß sie als Lenkerin mit dem Vater und zwei schnell herbeigeholten Arbeitern auf dem zum Bahnhof hinuntersausenden Kraftwagen. Die ganze Halle lag voll von verwundeten und sterbenden Kriegern aller Waffengattungen.

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Aurel von Jüchen: Frauenleben im Weltkriege. Xenien-Verlag, Leipzig 1915, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:J%C3%BCchenFrauenlebenImWeltkriege.pdf/38&oldid=- (Version vom 1.8.2018)