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Menschen irren vor den Flammen wild umher, mit den schreienden Hühnern und Gänsen, den kläffenden Hunden um die Wette, dann, da sie keinen Ausgang unverriegelt finden, kauern sie jammernd am Boden nieder, die Köpfe fest zusammensteckend, wie Lämmer, wenn ein Gewitter über sie dahinbraust; plötzlich geht ein Funkenregen über dem Haufen nieder, entsetzt springen alle auf, und das Spiel beginnt von neuem. In das Jammern der Frauen, das Winseln der Kinder mischt sich das dumpfe Gebrüll der Kühe in den Ställen, die jeden Augenblick sich losreißen können. Nur Frau Pawlik nimmt keinen Anteil an der kopflosen Verwirrung, sie hatte die Hände ihrer Kinder von dem Strick befreit, nun steht sie mit ihnen am Tor und schaut hinaus, sieht sich die Kosaken an, die hin und her reiten, sieht, wie schon aus mehreren Moosdächern rote Glut steigt. Sie überlegt: Unbedingte Lebensgefahr war hier nicht, auch wenn der Gutshof zusammenstürzte. Wenn nur die Ruhe gewahrt würde, könnte man sich wohl vor den Flammen retten, doch was kam danach? Oh, wäre doch ihr Mann hier! Mit einem Ruck würde er das Tor auseinanderreißen. „Wo ist unser Hänschen?“ frug jetzt das achtjährige Mädchen. Die Mutter berichtete. „Das ist ein Glück“, fuhr das Mädchen fort, „denn allen Jungens hacken die Kosaken den rechten Arm ab.“ In diesem Augenblick sieht Frau Pawlik einen Kosaken heranreiten, einen Jungen hinter sich herziehend, der vom schnellen Lauf hinter dem Pferd nach Atem ringt. „O Gott, Hänschen!“ In diesem Schrei, den Frau Pawlik ausstieß, klingen Angst, Grauen und Wut. In ihrer Seele erwacht eine wilde Kraft. Das läßt sie nicht zu. Sie faßt das Gitter des Tores, rüttelt daran mit stürmischem Ungestüm, wirft sich dagegen mit leidenschaftlicher Wucht, stemmt sich mit Hand und Knien dagegen, aber vergebens. Die Augen drängen sich fast aus dem Kopf, ihre Finger bluten. „Hier muß der Kopf helfen!“ Wirr durchfährt sie dieser Gedanke und schon ruft sie ihren Leidensgefährten zu: „Hilfe! Hilfe! Wir heben das Tor.“ Mehrere

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Aurel von Jüchen: Frauenleben im Weltkriege. Xenien-Verlag, Leipzig 1915, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:J%C3%BCchenFrauenlebenImWeltkriege.pdf/48&oldid=- (Version vom 1.8.2018)