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Leute eilen ihr zu Hilfe. Mit ihren blutenden Fingern greift sie unter das Tor, die anderen folgen ihr, sie gibt die Befehle: „Hup!“ „[WS 1]Nochmal Hup!“ Es gilt ihren Jungen, drum: „Nochmal Hup!“ Beim dritten „Hup!“ hebt sich das Tor, es tritt aus den Angeln, es stürzt mit dumpfem Gekrach auf die Straße, daß der Staub des morschen Holzes hoch aufwirbelt, und das Pferd des mit seiner lebenden Beute gerade bis hierher gelangten Kosaken sich wild aufbäumt. Der Kosak sprengt mit geschwungenem Säbel heran, um die flüchtende Schar wieder in den Hof zu treiben, auch andere Kosaken reiten herbei, doch Frau Pawlik hat schon ihr Hänschen von dem Strick gelöst, und indem sie wieder ihr Kleinstes auf den Arm nimmt, stürmen Mutter und Kinder fort. „Herr, erbarm dich unser!“ fleht Frau Pawlik in einem fort, und die Kinder beten ihr nach. So fliehen sie aus dem Dorf hinaus, über den Sandweg, immer weiter, an den großen Kiefern vorbei, an den Erlen- und Weidengebüschen hinunter zu dem Sumpf, den hohes Schilf umsäumt, auf dem weiße Wasserrosen ihre goldenen Kelche wiegen und hinter dem der eigentliche See seinen blauen Spiegel breitet. Frau Pawlik konnte nicht weiter, hier sank sie nieder, hier waren sie auch sicher und geborgen. Hänschen erzählte, wie der Kosak ihn erwischt hatte, und dann sagte er: „Weißt du was, Mutter? Wenn die Deutschen schlau sind, lassen sie die Russen ruhig hereinkommen und treiben sie dann zurück, so daß sie in unseren Sümpfen und Seen ersaufen.“ „So, und inzwischen sollen sie unsere Dörfer zerstören und die Einwohner morden; du Dummerjahn!“ erwiderte wie zürnend die Mutter. — Auf mühevollen Wegen erreichte Frau Pawlik endlich Königsberg, endlich winkte der fast Gebrochenen dort im Elternhaus sicherer Unterschlupf und Pflege. Sie war deren bedürftig, denn ein starkes Fieber warf sie sofort nach ihrer Ankunft nieder, infolge der stürmischen Erregungen der letzten Tage. Ihre frische Natur überwand bald die Gefahr, aber noch lange bedurfte sie der Ruhe. Der Krieg ging seinen bekannten Lauf, und

Anmerkungen (Wikisource)

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Empfohlene Zitierweise:
Aurel von Jüchen: Frauenleben im Weltkriege. Xenien-Verlag, Leipzig 1915, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:J%C3%BCchenFrauenlebenImWeltkriege.pdf/49&oldid=- (Version vom 1.8.2018)