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Hänschen las ihr an ihrem Bett täglich die Berichte der Zeitung vor, von der Besetzung Insterburgs, von dem kurzen Russenausflug nach Tilsit, von den Greueltaten und der Feigheit der Kosaken, doch immer wieder kam der kleine Schelm auf seinen Gedanken zurück: „Wenn die Deutschen schlau sind, müssen sie die Russen in die Seen treiben.“ So kam Ende August und mit ihm der große Sieg bei Tannenberg über die Narew-Armee und weiter vom 9. bis zum 12. September gleichzeitig die Siege über die Wilna-Armee und über die Grodno-Armee, die beide in die masurischen Seen getrieben wurden. Hei, wie glänzten da die Augen von Mutter und Sohn, aus denen in letzter Zeit soviel kalter Haß gefunkelt, um die Wette vor Freude und Stolz auf unsere Wehrmacht, die in solcher neuen Varus-Schlacht die Übermacht der russischen Legionen vernichtete. Und Vater war ja auch dabei gewesen. Hei, wie wird der wackere Kürassier seine Lanze geschwungen haben gegen die Mordbrennertruppen des Zaren, die ihm Weib und Kinder nahezu geschunden hätten. Doch in Hänschens Brust regte sich noch eine andere Stimme: „Mutter“, rief er, „der Generaloberst von Hindenburg hat es genau so gemacht, wie ich es gesagt habe. Ich bin doch nicht so ein Dummerjahn.“ Die Mutter drohte aus dem Bett lächelnd mit dem Finger: „Eigenlob riecht nicht gut, Hänschen“, warnte sie, aber dann wurde ihr ganz wunderlich zumute. „Warum nicht?“ dachte sie, „Hänschen braucht kein Bauer zu werden, wie sein Vater. Wenn er gute Schulen genießt, kann er zum Militär gehen und vielleicht nochmal in den Generalstab kommen, vielleicht noch mal …“

Sie sah ihn träumend vor sich in einer Generalsuniform, dann hob sie ihren Kopf aus den Kissen, streckte die Hand nach Hänschen, und ihre von der Krankheit gebleichten Finger fuhren sanft über Hänschens rechten Arm. „Gott Dank! ihm mangelt nichts!“ flüsterte sie leise, während sie in die Kissen zurücksank.

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Aurel von Jüchen: Frauenleben im Weltkriege. Xenien-Verlag, Leipzig 1915, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:J%C3%BCchenFrauenlebenImWeltkriege.pdf/50&oldid=- (Version vom 1.8.2018)