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Industria


Dicker, schwarzer Qualm, der Atem des Riesenungeheuers Industrie, zeigt weit hinaus die Stelle, wo die große Zeche und in breitem Umkreise um sie herum ihre Geschwister, schwere Eisenwerke, sich angesiedelt haben, fernhin faucht der Atem über die junge Großstadt, die unter dem stickigen Dunst aufgeschwollen ist, wie eine Treibhausblüte.

Durch eine der vornehmsten Straßen, die die Stadt mit jenem Wald von Schloten verbinden, wandelt Frau Richter, die Zeitungsausträgerin, einen Packen Morgenblätter auf dem Arm, und indem sie diese von Haus zu Haus auf beiden Seiten der Straße verteilt, schweift ihr Blick träumend nach den Rauchwolken. „Wie das brodelt aus den schwarzen Schlünden! Genau so“, denkt sie, „als wollten die Rauchwolken die Sonne fressen und die Erde mit Finsternis bedecken. Aber die Sonne leuchtet doch, die Rauchwolken zerflattern, zergehen in der Luft.“ „So geht es auch mit der Sorge“, grübelt die alte, nachdenksame Witwe weiter, „so ist es auch wieder mal mit der Kriegsnot gegangen. Das brodelte auch anfangs wie eine schwarze Wolke heraus. Jetzt hat sie sich zerfasert, aufgelöst. Alle, arm und reich, teilen die gleiche Not, und für den einzelnen wird sie dadurch erträglicher. Anderseits sprudelt der schwarzen Quelle eine sonnige Quelle entgegen: die Allgemeinheit sorgt für die Bedürftigen, und auch die ärmste Kriegerfrau ist in ihrem Leid nicht ganz verlassen. Anstatt daß die schwarzen Wolken die Sonne fressen, verschlingt die Sonne den schwarzen Dunst.“

Empfohlene Zitierweise:
Aurel von Jüchen: Frauenleben im Weltkriege. Xenien-Verlag, Leipzig 1915, Seite 49. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:J%C3%BCchenFrauenlebenImWeltkriege.pdf/51&oldid=- (Version vom 1.8.2018)