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Frau?“ „Ist sie ordentlich?“ „Wie alt sind die Kinder?“ usw. Frau Richter erwies sich als ein unergründlicher Weisheitsborn, und die Frau Direktor machte fleißig Notizen, wenn aber die Weisheit allzu stark sprudelte, und Frau Richter von den Verhältnissen der heutigen Frauen auf die ihrer Eltern und Großeltern, die sie bisweilen auch noch gekannt hatte, zurückschweifte, dann sagte Frau Wilhelmi sanft, aber bestimmt: „Schluß!“ und ging zum folgenden Namen über. So kamen sie zum letzten Namen: „Frau Christian Roth.“ „Haha“, rief Frau Richter, „die wohnt bei mir im Haus. Das ist die rote Hanne und ihr Mann hieß schon vor der Verheiratung der rote Christian. Herr Direktor wird das wohl wissen. Er heißt Roth, aber er ist auch rot, ein Sozialdemokrat, in der Wolle gefärbt. Vor etwa einem Jahr hat er die Hanne geheiratet, die denkt genau wie er und heißt drum die rote Hanne. Er ist ein ganz tüchtiger, fleißiger Mann, aber sie ist eine Luftige. Die hätte einen Flieger heiraten müssen, der viel Geld hat, denn sie ist eine Fliege, und vom Haushalt versteht sie gar nichts. Ich glaube sicher, sie hat noch nie gekocht, und wenn sie gekocht hat, hat man es gewiß nicht essen können.“ „Wovon nähren sie sich denn?“ unterbrach Frau Wilhelmi. „Na, von Butterbroten mit Aufschnitt, und bisweilen wird im Wirtshaus etwas Warmes gegessen. So ein Kohlenhauer verdient ja Millionen. Der rote Christian weiß es nicht besser, er ist im Waisenhaus erzogen und hat nie einen gemütlichen Familienstand kennen gelernt.“ „Gibt es denn viel Streit unter den beiden?“ forschte die Frau Direktor. „Ich bitte Sie, Streit? Nein, die sind noch immer in den Flitterwochen. So ein Liebesverhältnis habe ich nie gesehn, die schnäbeln sich wie die Turteltauben. Ich sage ja nichts über fremde Leute, aber Frau Direktor würden lachen, wenn Sie die beiden bisweilen beobachten könnten; wenn sie nicht so rot wären, müßten sie Grün heißen. Nun wird sie jetzt, wo der Mann fort ist, ihr erstes Kindchen bekommen. Es kann gar nicht mehr lange dauern. Na, das arme Wurm ist

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Aurel von Jüchen: Frauenleben im Weltkriege. Xenien-Verlag, Leipzig 1915, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:J%C3%BCchenFrauenlebenImWeltkriege.pdf/53&oldid=- (Version vom 1.8.2018)