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haben einen prächtigen Menschen an Bord, der auf Eurer Zeche arbeitet, Christian Roth heißt er, ein Mann von unversieglicher Arbeitskraft und außerordentlichem Geschick, dabei ein Draufgänger, der ebensowenig die Stunde erwarten kann, wo wir mit dem ruchlosen Engländer abrechnen.“ Wie ein Stachel ging der Frau Direktor die Erinnerung an die Frechheit der roten Hanne ins Herz.

Ihr Gatte kam, hatte schon mit dem Reichsmarineamt telephonisch gesprochen. „Nur siebzig sind tot“, tröstete er, „Viktor kann unter den Lebenden sein, ich flagge noch nicht halbmast.“ Der Brief wurde nochmal gelesen, und der Schlußsatz führte auf den roten Christian. Der Direktor kannte ihn, sie aber verschwieg ihr Erlebnis mit seiner Frau. „Ja, die Kerle geben ihr Leben mit Todesverachtung hin, vielleicht ist es auch Lebensverachtung, denn mit ihrer Sozialdemokratie verbittern sie sich ja selbst die Lebensfreude“, sagte der Direktor. „Warum ist nur diese Ungleichheit unter den Menschen?“ fragte sie. „Dumme Frage! Wer soll denn Kohlen hacken? Und Kohlen sind doch kein Luxus, sie sind die treibende Kraft unseres Lebens. Wenn alle gleich sein sollten, müßte jedes Streben nach Vervollkommnung verboten werden, alle müßten auf der niedrigsten Stufe verharren. Übrigens haben die Arbeiter selbst dies Bestreben. Einige arbeiten sich selbst empor, andere in ihren Kindern, aber auch die Lage des gewöhnlichen Arbeiters ist bedeutend gebessert. Gesetzgeber und Arbeitgeber haben in der Fürsorge gewetteifert.“ Er erklärte ihr die sozialen Fürsorgeeinrichtungen, wies darauf hin, daß kein anderer so rechte Feierstunden habe, wie der Arbeiter, und kam nochmal zu dem Schluß: „Die Kerle vergällen sich selbst das Leben durch ihre rote Weisheit.“ „Ich kann nicht leiden“, warf sie ein, „daß du die Arbeiter Kerle nennst, sie tun ihre Arbeit, sowie ihre Kriegspflicht, und haben deshalb Anspruch darauf, auch äußerlich anerkannt zu werden; von ihren Feierstunden würden sie vielleicht mehr haben, wenn gebildete Menschen mehr mit ihnen verkehren möchten.“ „Liebste“, erwiderte er ernst, „ich

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Aurel von Jüchen: Frauenleben im Weltkriege. Xenien-Verlag, Leipzig 1915, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:J%C3%BCchenFrauenlebenImWeltkriege.pdf/61&oldid=- (Version vom 1.8.2018)