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Direktor war die Ablenkung für seine Frau nicht unwillkommen, weil die Nachricht über Viktors Schicksal noch immer auf sich warten ließ. Alle Erdkräfte standen im Dienst des Verkehrs zu Gebote, aber gerade im Krieg, wo man nach einer einzigen Nachricht mit Fieberdurst lechzte, versagte der Verkehr. So erklärte er: „Wenn ich nicht auf das Essen zu warten brauche wegen der Suppen, die du für Fremde kochst, ist es mir gleich.“ Frau Wilhelmi frug kaum mehr um Nachricht, sie hatte sich darin ergeben, daß der Kampf um das Meer ihr den Sohn geraubt. Wenn sie aber zu Hause darüber nachdachte, weshalb sie ihre eigene Behaglichkeit für eine Arbeiterfrau opfere, dann war es ihr, als ob eine unsichtbare Gestalt ihr winke; wie eine Lufterscheinung schritt diese vor ihr her zum Hause der Frau Roth, sie sah nur bisweilen den Zipfel ihres Kleides, der mit wunderbarem Glanze über die schwarze Straße glitt. Eines Tages kamen die amtlichen Mitteilungen: Viktor war als Gefangener in England, Christian Roth von einer Granate zerrissen, er hatte nicht gelitten. Frau Wilhelmis Herz wollte frohlocken, da hörte sie die Gestalt neben sich flüstern: „Wenn es nun umgekehrt wäre, Christian Roth gefangen und lebendig, Viktor Wilhelmi tot?“ Sie schämte sich.

Der kleine Junge gedieh prächtig, und eines Tages schaute auch das junge, bleiche Weib auf seinem Schmerzenslager zu Frau Wilhelmi mit einem staunenden Blick des Erkennens auf, der dann weiterwanderte nach dem neuen Lehnsessel, dem Ofen, den neuen Vorhängen am Fenster. – „Ist der Umsturz schon gewesen?“ frug die Kranke. „Ja“, lächelte Frau Wilhelmi, „und ich bin Wärterin bei Ihnen geworden.“ „Ist denn der Krieg aus?“ „Noch nicht ganz“, erwiderte Frau Wilhelmi, „aber nun sehen Sie sich mal Ihren prächtigen Jungen an!“ Hanne lächelte selig und sank in die Kissen zurück. Ihre wachen Augenblicke und ihr Interesse für das Kind nahmen zu. „Wenn Ihr Mann wirklich den Heldentod sterben müßte, mit solchem Jungen könnten Sie immer noch glücklich sein“, bemerkte einmal

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Aurel von Jüchen: Frauenleben im Weltkriege. Xenien-Verlag, Leipzig 1915, Seite 61. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:J%C3%BCchenFrauenlebenImWeltkriege.pdf/63&oldid=- (Version vom 1.8.2018)