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Frau Wilhelmi. „Er wird doch auch nur Kohlenarbeiter werden können“, klagte Hanne. „Das kann man nicht wissen, ebensogut kann er Fabrikherr, Zechendirektor, ein Gelehrter werden.“ Frau Wilhelmi grübelte ordentlich darüber nach, wie sie das Herz der jungen Arbeiterfrau mit Mut und Hoffen erfüllen könnte, nachdem bisher der Zukunftsstaat ihre einzige Hoffnung gewesen. – Inzwischen waren wieder zwei Briefe angekommen, einer von Viktor aus dem englischen Gefangenenlager, – es ging ihm unglaubwürdig wohl –, ein anderer als Begleitbrief des Eisernen Kreuzes für Christian Roth. – Frau Direktor war entschlossen, ihrem Pflegling jetzt die Wahrheit zu sagen, als diese an einem Nachmittag flehentlich darum bat mit dem ehrenwörtlichen Versprechen, ganz stark zu bleiben. Frau Wilhelmi las ihr den Brief vor, der Christians Heldenmut und Pflichttreue in herzlichsten Worten pries, und als der erste Schmerz der Frau sich ausgetobt, heftete sie dieser lächelnd das Eisenkreuz an. „Sie haben ja auch mit Lebensgefahr fürs Vaterland gewirkt“, scherzte sie, „indem Sie den kleinen Ersatzmann da zur Welt brachten, und es fehlte wahrhaftig nicht viel, so hätten Sie Ihr Leben dafür geopfert, denn Sie standen mindestens schon auf der Schwelle des Jenseits.“ Frau Roth hob ihr tränenüberströmtes Gesicht, und ihre Lippen lächelten: „Ich habe es lange geahnt, und es ist gut so, daß mein Mann solchen Heldentod gestorben ist. Sein Leben wäre doch glücklos geblieben.“ Und als Frau Wilhelmi sie fast starr vor Staunen ansah, schüttete Frau Roth ihr Herz aus und erzählte, wie ihres Mannes Leben durch das Gefühl verbittert worden war, ein verachteter Kohlenarbeiter zu sein; durch die Erfahrung, daß diejenigen Menschen, zu denen er sich zählte und hingezogen fühlte, jede Berührung mit ihm abschnitten, sobald er sich als Arbeiter zu erkennen gab. Darum hatte er sich fortgesetzt bemüht, in andere Berufe einzudringen, aber jede Brücke brach zusammen, sobald er er sich als bisheriger Arbeiter entpuppte. „So würde er glücklos und unzufrieden weitergestrebt haben“, meinte

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Aurel von Jüchen: Frauenleben im Weltkriege. Xenien-Verlag, Leipzig 1915, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:J%C3%BCchenFrauenlebenImWeltkriege.pdf/64&oldid=- (Version vom 1.8.2018)