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Hanne, „wenn nicht der Krieg ihm Gelegenheit geboten hätte, zu zeigen, was er wert war.“ – Frau Wilhelmi stutzte. Hatte sie nicht schon einmal mit ihrem Mann über solche Schäden der Gesellschaft gesprochen? Sie hätte ja allerlei erwidern können von der anerkannten Bedeutung des Arbeiters, aus dessen Mühsal alles Herrliche und Glänzende der Welt entkeimt, doch sie schwieg. Ein anderes Mal kam sie auf das Schicksal des toten Christian zurück. – „Ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten“, sagte sie zu ihrer jungen Freundin, „aber ich möchte doch wissen, weshalb Sie es nicht fertigbrachten, Ihren Mann alle Mißachtung der Welt durch Ihre Liebe vergessen zu machen.“ „Ich hätte es vielleicht fertiggebracht“, erwiderte Hanne, und ihre Tränen rannen, „ich habe meine Pflicht als Frau nicht erfüllt, weil ich nicht dazu fähig war. Mein Mann führte mich, ich folgte ihm, was er begehrte, begehrte ich, was er verschmähte, verschmähte ich. Erst durch Sie habe ich erkannt, daß die Sonne für alle gemeinsam ist, und die Frau dem Mann den Kopf nach der Sonne drehen kann. Ohne Ihre Hilfe wäre ich aber dumm geblieben und hätte mich nicht zurecht gefunden in der verworrenen Menschenwelt, die dem Arbeiter durch den Zukunftsbilderschwindel nur noch mehr verwirrt wird. Aus Büchern kann man ja vieles lernen, mein Mann und ich haben bei ihnen unser Heil gesucht, aber wie viel besser ging es mir, als ich mich mit Ihnen einmal über die wichtigsten Dinge aussprechen durfte. Wäre ich früher mit Ihnen bekannt gewesen, meine Ehe wäre eine andere geworden, doch nur der Krieg konnte ja solches Opfer Ihrerseits bewirken.“ „Sie dummes Ding!“ entgegnete Frau Wilhelmi, „sprechen Sie nicht wieder von Opfer, aber selbst wenn es eins wäre, müßte ich mich dazu verpflichtet fühlen, denn ein kleines Opfer an Zeit bin ich wohl meinen Mitmenschen, den Kindern des gleichen Volkes, des gleichen Blutes schuldig, wenn ich ihnen helfen kann.“

Die Frau Direktor hatte sich, seitdem ihr Krankenwärterdienst überflüssig geworden, mit besonderem Eifer dem Kriegsliebesdienst gewidmet; man sah ihre hohe, ehrwürdige

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Aurel von Jüchen: Frauenleben im Weltkriege. Xenien-Verlag, Leipzig 1915, Seite 63. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:J%C3%BCchenFrauenlebenImWeltkriege.pdf/65&oldid=- (Version vom 1.8.2018)