Ich weiß eine Geschichte, die dauert ein ganzes Jahr und wohl noch ein paar Monde darüber:
War da einmal ein Schäfer, der kaufte im Mecklenburgischen, unweit der großen Stadt Teterow, tausend Schafe, die wollte er im Pommerland auf den Edelgütern an den Mann bringen. Als er nun an die Grenze kam, war da ein breiter Graben, über den führte eine schmale, schmale Brücke, so schmal, daß sie nicht breiter war, wie meine Hand ist.
Meiner Treu, da hat ein Schaf ein paar Stunden zu thun, ehe es hinüber kommt, und man muß ihm dabei noch helfen! Ja, da wird wohl ein Jahr vergehen, ehe der Schäfer sie alle übergesetzt hat; und da habe ich noch ganz die kleinen Lämmerchen vergessen, welche die Schafmütter inzwischen werfen. Also noch flugs ein paar Monde hinzu gelegt zu dem Jahre!
Ehe aber die Schafe nicht über den Graben gebracht sind, kann ich auch meine Geschichte nicht weiter erzählen.
Ulrich Jahn: Schwänke und Schnurren aus Bauern Mund. Mayer & Müller, Berlin 1890, Seite 140. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahn_Schwaenke_und_Schnurren_aus_Bauernmund.djvu/140&oldid=- (Version vom 1.8.2018)