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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

Selbstgefühl und Nationalkraft ist die wichtigste politische Seite der Wirkungen des Zollvereins angedeutet.“ Und etwas weiter unten heisst es: „Es ist unmöglich, nicht wahrzunehmen, dass der deutsche Fürstenbund innerhalb 25 Jahren nicht entfernt so viel für die politische Einheit des deutschen Volkes gewirkt, als der Zollverein innerhalb 8 Jahren. Dieser kurze Zeitraum lehrt bereits hinlänglich, wie das national-einheitliche deutsche Element im Verein auf alle Fälle ein so lebendiges Selbstgefühl und entschiedenes Uebergewicht gewonnen hat, dass wir kühn behaupten können, dass ein Land, welches ein Glied des deutschen Zollvereins wird, dadurch zugleich ein Glied der deutschen Nation und darum über kurz oder lang zum deutschen Lande werde.“ — In dem dritten Artikel kommt es dann zu der Frage: ob der Anschluss Ungarns an den deutschen Zollverein „gut, nützlich und wünschenswerth“ sei? — Der gegenwärtige Zustand Ungarns ist freilich kein sehr erfreulicher: Fabriken — ein oder zwei ausgenommen — sind gar keine vorhanden, die Bedürfnisse deckt grösstentheils die Industrie der östreichschen Staaten. Die ungarischen Rohproducte sind daher unmittelbar nur an Oestreich gewiesen; da dieses aber — ausserordentliche Fälle, dann Wolle und Tabak ausgenommen — selbst genug produzirt, so ist auch dahin die Ausfuhr nicht bedeutend, so dass ungarisches Getraide oft gar keinen Käufer findet. Ueberhaupt war die Ausfuhr im J. 1837 nach Oestreich 47,878,435 Fl.; nach dem übrigen Auslande 8,236,314 Fl. Die Einfuhr dagegen von dort 90,804,567 Fl. (also fast das doppelte), von hier 9,429,796 Fl. Im J. 1838 Ausfuhr: 61,684,121 Fl. und 9,527,922 Fl. Einfuhr aber 101,396,479 Fl. und 9,969,496 Fl. Also mit geringem Unterschied. Demnach wäre ein erweiterter Markt für Ungarn sehr wünschenswerth. Allein die Gesetzgebung, „wie sehr sie auch das Gewicht der Thatsachen fühle und gelten lasse, darf doch das Recht nie aus den Augen verlieren.“ Dieser etwas dunkele Satz heisst mit anderen Worten so viel als: unsere Gesetzgebung darf nicht die Bedürfnisse und das Wohl unseres Landes zum Massstabe nehmen, sondern die Bedürfnisse und das Wohl, die Foderungen und Tendenzen des Magyarismus. Wenigstens sind wir nicht im Stande, jene Worte anders zu fassen, wenn wir unmittelbar darauf lesen: „Nach dieser Constatirung des Standpunktes sei es uns nun vergönnt, zuerst zu fragen: Worin besteht die Hauptbedingung unseres Daseins? (unseres d. i. Ungarns oder der Magyaren? denn diess beide ist bis jetzt noch Gott sei Dank nicht eins) und wir antworten ohne uns einen Augenblick zu bedenken: in unserer Nationalität! (das ist eine Lüge, eine erbärmliche Lüge!) Ohne sie kann die Nation, welche dieses Land bewohnen wird, sehr reich, wohlhabend und mächtig sein, aber — sie wird keine ungarische (soll wohl heissen magyarische) Nation sein. Wir aber sind eine ungarische Nation (ganz richtig: eine ungarische, d. i. eine von den ungarischen Nationen) und wollen es bleiben. Vor diesem Interesse muss jedes Andere in den Hintergrund treten!“ Schmach und Fluch auf so liberale Grundsätze (und Herr Kossuth brüstet sich ja immer mit seinem Liberalismus!), welche die Macht, die Moralität, die geistige Bildung und Entwickelung von 11 Millionen darniederzuhalten und die vorhandene zu Grunde zu richten befehlen, um einer asiatischen Horde von 4 Millionen es möglich zu machen, dass sie europäische Cultur annehme. — Und in Folge dieser Gesinnung wird der Anschluss Ungarns an den deutschen Zollverband abgewiesen. Denn derselbe beruht nach des Journalisten Ansicht streng auf einer national-deutschen Grundlage, und es wäre „Thorheit, die Augen vor dem unläugbaren Factum verschliessen zu wollen: dass seit dem Bestehen des Zollvereins die deutsche Nation an Kraft, Einheit und Gemeingeist in 8 Jahren um ein Jahrhundert vorwärts geschritten ist.“ Und somit müsste sich auch in Ungarn nach seiner oben angegebenen Ansicht das Germanenthum ausbreiten und festsetzen. Nun wollen ja aber (oder wie sie sagen, müssen) die Magyaren nicht nur dieses verhindern, sondern auch noch die vorhandenen deutschen Elemente in Ungarn vernichten und sie so in sich selbst absorbiren. Bei diesem Bestreben sehen aber alle Partheien ein, dass die Entwickelung

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/133&oldid=- (Version vom 1.10.2019)