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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

„Reise nach Montenegro“ (Stuttgart 1841) eine junge Kousine des Vladika zu seiner Führerin.

 Das Land von Cernagora ist, wie überhaupt im Orient, mit seinen Bewohnern so identificirt, dass es keinen anderen Namen trägt, als den der plème oder der Stämme, die auf den verschiedenen Ebenen herrschen. Ohne diese Stämme würde man die leeren Orte nicht zu bezeichnen wissen und sie blieben eine namenlose Einöde, wie damals, als sie von den Uskoken, d. i. proskribirten serbischen Auswanderern bevölkert wurden. Ehemals begriffen unter dem Herzogthum und der Provinz Zenta, liegt die jetzige Cernagora zwischen Albanien, Bosnien, der Hercogewina und dem östreichischen Dalmatien. Die Moracza und Paskola, welche in den See von Skadar fallen, bilden ihre östliche Grenze; im Westen würde es die Küste des adriatischen Meeres von Antivari bis Ragusa sein, wenn der Wiener Kongress die Cernogorcen nicht vom Meere abgeschnitten hätte, das sie von ihren Bergen beinahe mit einem Steinwurf erreichen können.

 Natürliche Wälle sind im Westen der Rücken der Sella-Gora, 5 bis 6000 Fuss hoch, im Osten und Norden die Kette des Ostrog, im Süden der Sutorman. Von diesen Gipfeln verbreiten sich Kettenglieder in tausend Richtungen durch das innere Land. Die Nationalgesänge erzählen: Der Gott des Himmels liess, als er die Berge säete, auf seiner Wanderung durch die Erde aus Versehen oberhalb Cernagora den Sack fallen, worin sein Vorrath war; die im Sack befindlichen Granitblöcke rollten nach allen Seiten hin und bedeckten das Land. Die einzige Ebene, die von Cetinje einen halben Lieue breit und 4 Lieues lang, erfüllt sogar noch das Bett eines See’s. Der einzige grosse Fluss des Landes ist der Cernojewitj, der, auf den Bergen Maratowitj entspringend, durch Cetinje in den See von Skadar füllt. Jede Woche wird an dem Punkte, wo die Schiffe nicht weiter stromaufwärts gehen können, auf einem engen Bazar Markt, auch von östreichischen und türkischen Serben besucht, abgehalten. An seinen Ufern erheben sich die Ruinen der ehemals starken Citadelle Rieka, vor welcher eine ottomanische Armee vernichtet wurde. Besser erhielten sich die Ruinen von Obod, die auf einem Berge nahe an der Mündung dieses Flusses liegen. Am Fusse des zerstörten Schlossthurmes eröffnet sich in dem Felsen eine mächtige und geheimnissvolle Höhle. Hier ruht, der Tradition zufolge, der Held Ivo, der Stammvater der Cernogorcen, im Schoss der Wilen (Nymphen), die ihn bewachen und eines Tags wieder erwecken werden, wenn Gott beschliessen wird, seinen lieben Montenegrinern Kataro und das „blaue Meer“ wiederzugeben. Alsdann wird der unsterbliche Held wieder an der Spitze seines Volkes einherziehn und die „Schwaben“ (Deutschen) von den usurpirten slawischen Küsten vertreiben.

 Ein anderer Fluss ist die Cernica, fahrbar bis zum Dorfe Vihra, wo ein sehr alter Marktplatz ist. Hier brach die erste Empörung der Rajas wider die Türken aus, die den Zehnten vom Mais zu holen kamen und behaupteten, das Scheffelmaass sei zu klein. „So werden die Cernogorcen von nun an ihren Zehnten vermessen“ riefen die empörten Rajas und warfen die Maasse den Türken an die Köpfe. Die Temperatur dieser Thäler ist so mild, dass man die ganze Gegend Župa, d. h. Land ohne Schnee, oder Land der Sonne nannte (Župa ist Distrikt, Departement). Der Mangel an Wasserquellen ist sehr fühlbar. Oben auf den Bergen schmilzt der Schäfer Schnee, um seine Heerde zu tränken, und unter ihm wächst die Olive, die Feige und der Granatapfel.

 Man trifft hier keine Stadt und keine Festung, selbst das Dorf ist nichts anderes, als die Vereinigung mehrerer Haushaltungen (bratstvo). Man bauet die Häuser dicht an einander, grösstentheils aus Stein und auf den Felsen umher, und versieht sie mit Schiesscharten. In den Kula, Thürmen mit einem Stockwerk, dient das Erdgeschoss zur Unterbringung des Viehes. Ziegen und Schafe sind die gewöhnlichen Hausthiere, Ochsen und Pferde selten. Der Wein, der in einigen

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 334. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/345&oldid=- (Version vom 28.3.2020)