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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

Thälern wächst, bekommt, weil man ihn in Schläuche füllt, einen herben Geschmack. In ausgehöhlten Baumstämmen sammeln die zahllosen Bienenschwärme vortrefflichen Honig. Die Nahrung des Volkes besteht in Vegetabilien, Milch, Mais- und Gerstenmehl, Erdäpfeln, deren Kultur der vorige Vladika einführte. Strassen gibt es im Lande nicht, und als sich Napoleon durch den Marschall Marmont anbot, auf seine Kosten eine Strasse von Kataro bis Nikschitja zu bauen, wurde sein Vorschlag mit grosser Klugheit standhaft zurückgewiesen.

 Die eigentliche Cernagora wird in 4 Nahien eingetheilt: die Cernica oder Cermnica, Lieschanska, Rjeczka und Katunska-Nahia. Die letztere, vom Berge Lowczen bei Kataro bis Nikschitja, umfasst beinahe die Hälfte des Landes. Früher unbewohnt erhielt sie ihren Namen vom albanischen Worte: Katun (Sommerzeit des Hirten, Sennenhütte). Jetzt enthält sie 9 plème oder Stämme, auf eben so viel Distrikte vertheilt. Jeder steht ein Knjez oder Fürst vor, der nicht selten erblich, den Gemeindeversammlungen präsidirt. Diese Nahia ist die ärmste und unfruchtbarste des Landes und bringt daher die meisten Räuber und Plünderer hervor. Hier ist die Festung Cetinje, welche diesem Hirten-Soldatenvolke als Forum dient; der Nationalreichstag wird auf einer Wiese abgehalten, der Senat sitzt aber auf dem Gebirge bei dem heiligen Wladika. Nicht weit von dieser Festung ist Nieguschi (Gnegost), der einzige Ort des Landes, welcher das Ansehen einer europäischen Stadt hat. Hier wohnen die berühmtesten Familien der Republik, die Petrowitj’s, die Brüder, Oheime und Vettern des Wladika, die Bogdanowitj’s, die Jakschitj’s, die Prorokowitj’s, deren jetziges Oberhaupt, der wilde Lazo, (Neffe eines gleichnamigen Popen, der 1809 von den Franzosen erschossen wurde), sich den Türken gefürchtet macht. Nieguschi ist ein zweites Moskwa in Miniatur; denn die niedere Wohnung der Vorfahren der herrschenden Dynastie wird mit derselben Ehrfurcht betrachtet, wie das Haus des ersten Romanow an der Moskwa. Das Haus der Petrowitsch’s hat nur ein Stockwerk und gleicht den übrigen in allen Dingen, nur ist es ein wenig grösser. Ein anderer „Konak“ hatte ein eben so grosses Haus gebaut, das noch vor einigen Jahren von der Familie des Civilgouverneurs bewohnt war, der mehr als ein Jahrhundert dem Wladika die irdische Herrschaft streitig machte. Nun ist aber die Familie ganz herabgekommen. Das kleine Becken des Staniewitj ist der einzige fruchtbare Strich dieser Nahia; in ihm liegt auch das Kloster des heiligen Michael, die frühere Residenz des Wladika.

 Die nächstanliegende Cernica-Nahia längs des See’s von Skadar bis gegen Budva und Antivari hinunter ist dagegen der reichste Landstrich. Terrassenförmige Gärten auf den Bergen wechseln mit Oliven-, Feigen- und Granat-Pflanzungen. Dieselben werden insgesammt von Menschen gepflanzt, die zeitlebens bis an die Zähne in den Waffen stecken. Man zählt hier sieben Stämme.

 Die Nahia Glubotina oder Rjeczka-Nahia, der Centralstrich des Landes, zählt 5 Stämme, deren einziger Reichthum in dem fischreichen Fluss Cernojewitj liegt. Aus ihm werden Massen von Forellen und andere Fische, getrocknet und geräuchert nach Dalmatien und Italien ausgeführt. Unter anderen liefert hier eine Art Seebarben, serbisch ukliewa, italienisch scoranza genannt, alljährlich reiche Ausbeute. Mit Eintritt des Winters kommen nämlich dieselben in solchen Schaaren gegen den See von Skadar heran, dass das Wasser, dessen Oberfläche sie dicht bedecken, eine eigenthümliche Farbe annimmt. Sie haben die Grösse von Sardellen und halten sich auch schaarenweise in den Oko’s (kreisförmigen Strudeln von warmen Quellen, die aus der Tiefe heraufquellen) in dem Skadarer See auf. Sie sind hier in solchen Massen beisammen, dass die Anwohner des See’s, welche ausschliesslich solche Oko’s besitzen, sie in Hürden einschliessen, so dass sie sich kaum bewegen können. Dadurch werden sie fett und ihr Same wird so gross, dass er einen Caviar liefert, der nicht viel schlechter als der von Prevesa ist.

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 335. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/346&oldid=- (Version vom 29.3.2020)