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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

ganzen Dienerschaft im Hause aber hiessen sie „Krasnyja djewuschki, rothe (d. i. rothwangige oder rothgeputzte?) Mädchen.[WS 1] Schon vom ersten Abend an sannen die „Gespielinnen“ hin und her, was sie an den Feiertagen alles vorgeben sollten. Was sie am Tage, was sie in der Nacht machen wollten? Denn nun blieben sie für dieses Fest beisammen und an eine Trennung war nicht zu denken. Alsbald fingen sie nun an, nach ihrem Gutdünken zu wirthschaften. Jede neue Gespielin bewirtheten sie mit allen möglichen gekochten und gebratenen Speisen, bis alle Eingeladenen endlich beisammen waren. Nun begannen die Spiele. Am ersten Abende brachte man die Zeit meistentheils mit Räthselgeben und Lösen zu. Die volksthümlichen russischen Räthsel sind so zahlreich und mannichfaltig, dass die Mädchen bei diesem Spiel in der That keine lange Weile haben konnten. War so unter Spielen und Berathschlagungen für die folgenden Tage die späte Nacht herangekommen, so wurden die rothen Mädchen in die Schlafstube geführt. Diess war gewöhnlich ein grosser Saal; mitten in demselben lag auf dem Fussboden eine Menge von Federbetten, auf welche sich die „Gespielinnen“ ohne Weiteres zum Schlafen legten, alle in einem Gemache.

 Mit dem frühen Morgen nun erhoben sich alle Rechtgläubigen in ganz Russland von ihrem Lager, denn Alle weckte der Gedanke: „Heute ist der Wasili-Abend!“

 Die alten Mütterchen schickten alsbald bei allen Nachbarn Boten herum, um auszuforschen: Bei wem gestern Schlitten vorgefahren? Wieviel ihrer gewesen? Wieviel Menschen in ihnen angekommen? Wie sie aufgeputzt gewesen? Wieviel Päcke und Bündel sie aus dem Schlitten herausgenommen? Wie man die Gäste empfangen? Was für Geschenke die Fremden ausgetheilt hätten? Und an wen? Alle diese Fragen waren unumgänglich nothwendig, denn nach ihnen wurde die Achtung bemessen, die man dem gastlichen Hause zollte. In dem gastlichen Hause aber war es die ganze Nacht hindurch zu keiner Ruhe gekommen; die arme Hausfrau musste tausenderlei Dinge für den morgenden Tag besorgen, ehe sie nur daran denken konnte, dem Beispiel der rothen Mädchen zu folgen. Kaum war die erste Morgendämmerung eingetreten, da waren die sorglichen Kindsfrauen die ersten, welche aus den Federn sprangen, denn sie mussten den Wzwarjec kochen, ein Getränk aus Wein, Bier, Honig und Gewürze. Auch das übrige Dienstpersonale war bald auf den Beinen; aber es sprach noch vor Tagesanbruch so dem „grünen Weine“ zu, dass keiner den hellen, lichten Tag sah, und mit den Händen herumtappend, sich an den Wänden festhalten musste, um nicht umzufallen. In den übrigen Häusern gab es nun auch mancherlei Sorgen. Die Hausmütter waren untröstlich, nicht zu wissen, wie es ihren Töchtern ergangen, ob sie gut geschlafen, ob sie gut geträumt, wie sie sich unterhalten hätten? Allein, was war zu thun? — Selbst durften sie nicht hingehen, um nachzufragen. — Geschwind nahmen sie daher Backwerk und mancherlei andere süsse Geschenke, schütteten alles zusammen in ein Säckchen und schickten die Kindsfrauen damit aus, um nach dem rothen Mädchen zu sehen. Während aller dieser Sorgen und Vorbereitungen schliefen die Mädchen allein ganz ruhig und Niemand wagte sie zu wecken, bis die Zeit heran kam, wo man in die Kirche gehen sollte.

 Diesen Augenblick erwartete die Hausfrau mit Ungeduld. Kaum erscholl der erste Glockenschlag von dem Geläute, da stand sie schon an der Schwelle des Zimmers, in welchem ihre schönen Gäste schliefen, und rief mit lauter Stimme: „Hallo! hallo! ihr rothen Mädchen! ’s ist Zeit zum Aufstehen. Eure Erwählten sind lange, längst schon aufgestanden, haben drei Gewände ausgedroschen, auf zwei Märkten wohl sich umgesehen und drei Schweine theuer losgeschlagen; haben auf den Steppen hin und her gejaget, überall nach ihrer Erwählten gefraget. Hallo! Auf, auf! — Und nun, was hat Euch geträumt? Wer ist Euch im Schlafe erschienen?“ —

 Mit diesen Worten öffnete sie angelweit die Thür, und trat nun mit den Grossmütterchen zu den rothen Mädchen, um ihre Träume auszulegen. Unter diesen sah man auch immer die Freiwerberinnen, welche von den „Erwählten“ heimlich hingeschickt wurden, so wie die Einladerinnen, welche wieder von den Müttern

Anmerkungen (Wikisource)

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/37&oldid=- (Version vom 14.9.2022)