berauben wollte, da fand er ihn gerettet. „Ist denn ein so schwaches Menschenkind nicht zu verderben!“ sprach er zornig zu sich selbst, faßte den Königssohn, und führte ihn zum zweitenmal auf einem andern Weg zum Abgrund; aber der Löwe, der die böse Absicht merkte, half seinem Herrn treulich aus der Gefahr. Als sie bis zum Rand gekommen waren, und der Riese die Hand des Königssohns fahren ließ, um ihn allein zurückzulassen, da sprang der Löwe mit aller Macht gegen das Ungeheuer daß es hinabstürzte, und ganz zerschmettert wurde.
Danach zog er seinen Herrn wieder herab, und leitete ihn zu einem Baum, an dem ein klarer Bach floß. Der Königssohn setzte sich da nieder, der Löwe aber legte sich an das Wasser, und spritzte, so gut er konnte, ihm davon ins Antlitz. Ein paar Tröpfchen trafen auch glücklich die Augen, und benetzten sie, und der Königssohn merkte, daß sein Gesicht etwas wiederkam, denn er hatte einigen Schein, und konnte etwas in der Nähe unterscheiden. Er wußte aber nicht woher das gekommen war. Da sah er ein Vöglein, das flog ganz nah an seinem Gesicht vorbei, gerade wider den Baumstamm, so daß es sich daran stieß, gleich als wär es blind; es senkte sich aber in das Wasser, und badete sich darin, dann flog es wider auf, und strich ganz sicher zwischen den Bäumen hin, so daß man wohl merken konnte es sey jetzt wieder sehend. Da dachte der Königssohn das wäre ein Wink Gottes, und neigte sich herab zu dem Wasser, und wusch und badete sich darin das Gesicht. Und wie er sich aufrichtete, hatte er seine Augen wieder, so hell und rein, wie sie nie gewesen waren.
Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 2 (1837). Dieterich, Göttingen 1837, Seite 185. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder-_und_Haus-M%C3%A4rchen_1837_Band_2.djvu/194&oldid=- (Version vom 1.8.2018)