Seite:Knortz-Ein amerikanischer Diogenes (Henry D.Thoreau).djvu/24

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Meere des Lebens, nun, so betrachte er es als seine moralische Aufgabe, sie hineinzulegen. Wahre Tugend kann nur im Umgange mit den Menschen zum Ausdruck gelangen und alles Wissen ist todtes Capital, sobald es nicht in den Dienst der Allgemeinheit gestellt wird.

Selbst Schopenhauer, der verbissene Pessimist, arbeitete für die Menschheit; dieselbe ekelte ihn allerdings an, trotzdem aber sehnte er sich aufrichtig nach einem ihm zusagenden Umgang und gab einst dem Nibelungendichter Jordan den ernstlich gemeinten Auftrag, wenn er einmal die Bekanntschaft eines wirklichen Menschen mache, ihm denselben zuzuführen. Er hielt einfach seine Zeit für viel zu werthvoll, um sie in Gesellschaft langweiliger Schwätzer zu vertrödeln. Aehnlicher Ansicht huldigte auch Rousseau.

Ungestörtes Glück ist übrigens doch nur in der Einsamkeit denkbar. Mit Niemand geräth man da in Streit. Kein Unberufener trinkt einem den Weinkeller leer, liest einem unaufgefordert seine gesammelten Gedichte im Manuscripte vor oder stiehlt einem sonstwie die Zeit ab. Auch beneidet uns Niemand um dieses Glück, weil es Niemand zu kennen scheint. In der Einsamkeit ziehen wir den Schlafrock an; die Gesellschaft verlangt den Frack. In der Einsamkeit ist man Fürst, in der Gesellschaft Diener, und oft genug nur ein geduldeter. Im Getriebe des menschlichen Verkehrs sammeln wir allerdings den Stoff zu gedankenreichen Werken; aber nur in der Einsamkeit können wir dieselben ausarbeiten. Wer sich also ohne hohen Lebenszweck in die Einsamkeit begiebt, begeht moralischen Selbstmord. Sie ist mithin für starke Seelen ein ebenso mächtiges Bedürfniß, wie die gewohnte Stammkneipe für den kannegießernden Philister.

Absolute Einsamkeit existirt übrigens nicht. Selbst Elias erfreute sich der Gesellschaft einiger Raben und stieg manchmal, um seinem Grolle Luft zu machen, von seinem Berge herab.

Empfohlene Zitierweise:
Karl Knortz: Ein amerikanischer Diogenes (Henry D. Thoreau). Verlagsanstalt und Druckerei A.-G., Hamburg 1899, Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Knortz-Ein_amerikanischer_Diogenes_(Henry_D.Thoreau).djvu/24&oldid=- (Version vom 1.8.2018)