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was im Volke schlummerte, gewannen sie es; so ward es zum Lichte geboren! Welchem anderen Volke wohl, das eine der Griechen ausgenommen, ist so viel von seinem Wesen, von seiner Seele offenbart worden? Alles ward uns in Erkenntnis und Anschauung geschenkt, was aus sich eine höchste Kultur hervorbringen kann. Und wir sollten, besinnungslos über das Alles flüchtig hinwegeilend, immer Neues erwarten und verlangen, im Wahne hintaumeln, jetzt erst ständen die entscheidenden Offenbarungen bevor? Als habe der Genius des Deutschtums durch seine großen Verkündiger nicht seine Offenbarungen verschwenderisch, ja in unerhörter Fülle uns gespendet? Alle diese Großen sind Märtyrer für das Ideal der deutschen Kultur geworden — sie sind dahingegangen, ohne auch nur den Versuch der Verwirklichung ihrer Ideen zu gewahren. Was Schiller in flammender Begeisterung prophetisch gesungen, was Goethe in Bildern ewiger Harmonie gezeigt, was Richard Wagner im Verzweiflungsausbruch der Liebe in die Welt hinausgerufen, worauf unsere weltdurchdringenden Denker mit tiefem Blick sinnend hingewiesen — wir haben es nicht zur That gemacht. Immer wieder ist vor tauben Ohren der erschütternde Mahnruf verschollen, der Mahnruf: In die Tiefe und aus ihr die Kultur! Hier also liegt unsere heilige, unabweisbare Aufgabe! Die Verwirklichung einer deutschen Kultur von Innen heraus und im Aufblick zu den Ideen unserer germanischen Genies. Wir haben dies Werk erst zu schaffen — vielleicht, daß es ungethan blieb, weil unsere Kräfte auf die äußere Gestaltung der Einheit gespannt

Empfohlene Zitierweise:
Henry Thode: Kunst, Religion und Kultur. Carl Winter’s Uinversitätsbuchhandlung, Heidelberg 1901, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kunst,_Religion_und_Kultur.pdf/21&oldid=- (Version vom 1.8.2018)