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waren. Jetzt sind wir frei, und wir haben es gesehen, nur durch solche Bethätigung, durch solche seelische Schöpfung können wir der äußeren Machtstellung das innere Gleichgewicht verschaffen. Auf welchem geistigen Gebiete wir thätig sind, dies Ziel muß uns Allen stets vor Augen stehen, und nur was im Hinblick darauf hervorgebracht wird, ist von Bedeutung für unsere Zukunft.

Alle Kultur aber ist ein Künstlerisches, weil sie ein Einheitliches und Harmonisches in die Wirklichkeit einführen will. Und so kann sie auch nur aus künstlerischer Anschauung erwachsen. Was aber ist in dieser Hinsicht das Erzieherische in der Kunst? Gewiß die Erhebung zum Idealen, zur Idealität, davon ich schon gesprochen habe — aber diese Worte sind zu allgemeine, sie sagen uns nicht bestimmt genug, worauf es gerade bei der Gestaltung von Kultur ankommt. Vielleicht dürfen wir die von der Kunst uns werdende Lehre deutlicher bezeichnen mit dem Worte: Gesetzmäßigkeit!

Was innerlich begründete Gesetzmäßigkeit sei, lehrt uns nichts Anderes mit so heller Ersichtlichkeit, als eben das große Kunstwerk. Alle Willkür erscheint in ihm aufgehoben, im streng Gebundenen waltet edle Freiheit, das Natürliche erscheint als ein Notwendiges, dem schwankenden einzelnen Belieben wird das allgemeine innere Müssen als wohlthätige Fessel angelegt. Wie der Künstler sich selbst im Gesetz die Kraft der Schönheitsbildung giebt, so weist sein Werk uns den Weg, auf dem wir einzig einem schönen Menschtum zustreben können.

Wollen wir ein solches, wollen wir eine harmonische

Empfohlene Zitierweise:
Henry Thode: Kunst, Religion und Kultur. Carl Winter’s Uinversitätsbuchhandlung, Heidelberg 1901, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kunst,_Religion_und_Kultur.pdf/22&oldid=- (Version vom 1.8.2018)