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die Antwort noch kürzer geben: sie besteht im Prophezeien. Alle die mannigfaltige Arbeit, welche die Wissenschaft treibt, hat im letzten Ende das Ziel, uns die Möglichkeit zu geben, künftige Vorgänge vorauszusehen. Fast unser ganzes Leben besteht ja in solchen Voraussichten, fast alles, was wir tun, tun wir, damit künftig gewisse Ereignisse eintreten oder andere vermieden werden, und die Erziehung jedes Menschen besteht darin, ihn mit möglichst großer Sicherheit Voraussichten machen zu lehren, daß er seine Handlungen darnach einrichten kann. Die sicherste Voraussicht aber gewährt uns überall erst die Wissenschaft, denn sie stellt ja allgemein die gegenseitige Abhängigkeit oder Aufeinanderfolge der Ereignisse aller Art fest.

Nun arbeitet auch der Künstler für die Zukunft. Ich meine dies nicht in solchem Sinne, daß er erst vielleicht nach seinem Tode zu Anerkennung gelangen mag, sondern ganz unmittelbar. Ehe er sein Kunstwerk beginnt, hat er bereits eine Vorstellung, was es wohl werden wird, aber er muß erst eine ganze Reihe zweckmäßiger Handlungen verrichten, ehe die ersten Spuren seines Werkes in die Erscheinung treten. Und hernach ist es auch nicht in einem Augenblicke fertig. Er muß es verlassen und wieder aufnehmen, er muß es verbessern und umgestalten. Alle diese Dinge kann er

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Wilhelm Ostwald: Kunst und Wissenschaft. Verlag von Veit und Comp., Leipzig 1905, Seite 37. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kunst_und_Wissenschaft.pdf/43&oldid=- (Version vom 1.8.2018)