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Wo bist? komm an! – er taucht und dreht
Die Augen rings und schwimmt und späht

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Und sucht den grimmen Feind verwegen.

Da schießt das Unthier ihm entgegen,
Weit gähnt ihm zu der Rachenriß
Und fletscht nach ihm das Mordgebiß.
Doch denkt er nicht der eignen Sache,

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Nur Rache, seinem Todten, Rache.

Tief in des Meeres Einsamkeit
Und Dämmerung beginnt der Streit,
Wild, athemlos, still; wer bezwungen,
Wird stiller nicht, als er gerungen;

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Der Dolch, die Zähne sind gezückt,

Das Auge nah dem Auge rückt.

Am Strande stehn die Andern harrend,
Bang nach dem Ausgang niederstarrend.
Wohl Manchen mahnt’s: o spring hinein,

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Laß deinen Bruder nicht allein!

Doch Schrecken hemmt die kühne That,
Und raunt ihm zu: es ist zu spat!

Empfohlene Zitierweise:
Nicolaus Lenau: Nicolaus Lenau’s dichterischer Nachlaß. J. G. Cotta, Stuttgart und Augsburg 1858, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lenau_-_dichterischer_Nachlass,_1858.djvu/140&oldid=- (Version vom 21.4.2023)