erträumt und ausgemalt hatte, während er, der künstler, die banausenarbeit des möbelzeichners in form umwandeln mußte. Sollte es also doch dazu kommen! Und er begann. Anfangs ängstlich, nicht ganz auf seine bärenkraft vertrauend, wurde er schritt für schritt stärker und freier. Was gotik, was rokoko: hier ist die natur und nun drauf los!
„Hier ist die natur und nun stilisiere!“ wird in der schule gelehrt. Oh, diese „stilisierenden“ kunstgewerbeprofessoren! Da gibt einer ein werk heraus mit stilisierten pflanzen und tieren. Fragt man ihn, für welches material alle diese sachen stilisiert sind, so erhält man zur antwort: „Ja, die kann man ganz nach belieben verwenden.“
Das ist natürlich unsinn. Ein stilisieren in diesem sinne der zeichenlehrer gibt es nicht. Der zeichenlehrer kann allerdings stilisieren, aber nur für das reißbrett, für die fläche. Er kann ein tier, eine pflanze, einen gegenstand auf die ebene bringen. Das geht natürlich nicht so leicht. Er muß striche machen, die nicht in der natur enthalten sind, andere striche wieder auslassen. Trotzdem kann er, besonders, wenn er sich des pinsels und der leinwand bedient und zum maler wird, der natur am besten nahekommen. Das will jeder handwerker, das will jeder künstler. Der steinmetz im mittelalter fing sich einen salamander. „Warte, kerl, dich haue ich in stein aus. Als wasserspeier.“ Und er hieb drauf los. „Sieh her, bruder maler, wie fein ich den abporträtiert habe. Ist es nicht der salamander, wie er leibt und lebt?“
Der bruder maler schüttelte das haupt. Was das sehen anging, hatte er mehr übung. Das ist ja leicht begreiflich. Während der steinmetz sein auge nur ausnahmsweise zum vergleichen mit der natur gebrauchte, er, der sich das
Adolf Loos: Adolf Loos – Sämtliche Schriften. Herold, Wien, München 1962, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loos_S%C3%A4mtliche_Schriften.pdf/129&oldid=- (Version vom 1.8.2018)