großen meister hatten dank ihrer hervorragenden bildung einen innigeren kontakt mit dem weltgeist als die andern.
Die architektur erweckt stimmungen im menschen. Die aufgabe des architekten ist es daher, die stimmung zu präzisieren. Das zimmer muß gemütlich, das haus wohnlich aussehen. Das justizgebäude muß dem heimlichen laster wie eine drohende gebärde erscheinen. Das bankhaus muß sagen: hier ist dein geld bei ehrlichen leuten fest und gut verwahrt.
Der architekt kann das nur erreichen, wenn er bei jenen gebäuden anknüpft, die bisher im menschen diese stimmung erzeugt haben. Bei den chinesen ist die farbe der trauer weiß, bei uns schwarz. Unseren baukünstlern wäre es daher unmöglich, mit schwarzer farbe freudige stimmung zu erregen.
Wenn wir im walde einen hügel finden, sechs schuh lang und drei schuh breit, mit der schaufel pyramidenförmilg aufgerichtet, dann werden wir ernst, und es sagt etwas in uns: Hier liegt jemand begraben. Das ist architektur.
Unsere kultur baut sich auf der erkenntnis von der alles überragenden größe des klassischen altertums auf. Die technik unseres denkens und fühlens haben wir von den römern übernommen. Von den römern haben wir unser soziales empfinden und die zucht der seele.
Es ist kein zufall, daß die römer nicht im stande waren, eine neue säulenordnung, ein neues ornament zu erfinden. Dazu waren sie schon zu weit vorgeschritten. Sie haben das alles von den griechen übernommen und haben es für ihre zwecke adaptiert. Die griechen waren individualisten. Jedes bauwerk mußte seine eigene profilierung, seine eigene ornamentierung haben. Die römer
Adolf Loos: Adolf Loos – Sämtliche Schriften. Herold, Wien, München 1962, Seite 317. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loos_S%C3%A4mtliche_Schriften.pdf/319&oldid=- (Version vom 6.9.2019)