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einen hofmeister zu geben. Kinder müssen in einer schule unterrichtet werden, und wer seine kinder außerhalb der schule unterrichten läßt durch eine einzelperson oder vielleicht gar zwei, drei oder vier personen zu gleicher zeit, versündigt sich gegen den modernen geist. Der moderne geist ist ein sozialer geist, und ein antisozialer geist ist ein unmoderner geist. Ganz genau so kann die freude an der natur nicht vom einzelnen durch den besitz eines gartens befriedigt werden. Wir sind nicht imstande, jedem einzelnen menschen einen garten oder auch nur einen baum zuzuweisen. Genau so, wie die kinder in die schule zu gehen haben, hat sich der mensch an der freien natur zu erfreuen. Er hat in einen gemeinschaftlichen park, in eine gemeinschaftliche baumschule zu gehen. Daher ist der besitz eines einzelgartens antisozial. Das sind ansichten, die eine zuhörerschaft von heute nicht ganz begreifen wird, die aber in fünfzig oder sechzig jahren so allgemein sein werden, daß man gar nicht mehr darüber sprechen wird. Wer revolutionen vermeiden will, wie ich, wer evolutionist ist, soll ständig daran denken: der besitz eines gartens beim einzelnen muß aufreizend wirken, und wer da nicht schritt hält, ist für jede kommende revolution oder jeden krieg verantwortlich.

Nun sagte ich, daß nur diejenigen menschen einen garten besitzen sollen, die ihn bebauen wollen, also die schrebergärtner. Der schrebergärtner ist glücklich, er hat etwas, was seine entsetzlich aufreibende tagesarbeit kompensiert. Er wird geistig und seelisch wieder zum menschen gemacht. Nicht alle menschen können einen schrebergarten besitzen oder bebauen. Es gibt viele berufe, die den menschen von der gartenstadt ausschließen. Ein feinmechaniker darf einen spaten nicht in die hand nehmen,

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Adolf Loos: Adolf Loos – Sämtliche Schriften. Herold, Wien, München 1962, Seite 406. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loos_S%C3%A4mtliche_Schriften.pdf/408&oldid=- (Version vom 1.8.2018)