Philipp Lottich: Aufzeichnungen aus dem Munde des Volkes und Schilderungen aus dem Volksleben in der Umgegend von Schlüchtern | |
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Meine Mutter mich schlug,
Mein Schwester mich trug
Mein Vater mich aß,
Mein Schwesterje mich zusammenlas
Auf e Stöckelje (Stöcklein)
Ich fortgefloge bi e Vögelje.
Der Bäcker, dem der Gesang gefiel, rief dem Vögelchen zu, daß, wenn es noch einmal so sänge, er ihm einen Weck hinaufwerfen werde. Das Vögelchen thats und bekam den Weck. Darauf flog es auf das Haus eines Schuhmachers. Da sang es wieder:
Meine Mutter mich erschlug,
Meine Schwester mich trug
Mein Vater mich aß
Mein Schwesterje mich zusammenlas
Auf e Stöckelje
Ich fortflog bi e Vögelje.
Dein Sang, rief der Schuhmacher, gefällt mir gar wol, lass’ ihn noch einmal hören! dann werd’ ich Dir auch auch ein Paar Schlappen (alte zu Pantoffel gewordene Schuhe) geben! Das Vöglein willfahrte und bekam daher die Schlappen hinaufgeworfen. Es flog weiter erst auf ein Hutmachers Haus, wo es, nachdem es da auch mit seinem Gesange gefallen und ihn hatte wiederholen müssen, einen Hut, dann auf das Dach eines Schneiders, wo es auf dieselbe Weise einen Leib (eine Weste, Gilet) erhielt; und so bekam es auf dem Hause eines Metzgers eine Wurst und endlich auf dem eines Müllers einen Mühlstein. Nun flog es auf den Schornstein seines Vaterhauses. Da kratzte es den Speis (Mörtel) los, daß er auf die Klöße fiel, welche eben von der Mutter gekocht wurden. Die Mutter, bös darüber schickte das Schwesterchen hinaus zu sehen, woher das komme. Das Schwesterchen konnte nichts ersehen, bekam aber ein Paar Schlappen heruntergeworfen. Nun mußte, weil die Klöße immer noch mehr verunreinigt wurden, der Vater hinausgehn.
Philipp Lottich: Aufzeichnungen aus dem Munde des Volkes und Schilderungen aus dem Volksleben in der Umgegend von Schlüchtern. Bohné, Kassel 1854, Seite 362. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lottich_Volksleben_Schluechtern.djvu/7&oldid=- (Version vom 1.8.2018)