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erquickende Fluth von Hirten und Ackerleuten gern getrunken wurde. In der Nähe dieses Quells hüthete einst der Hirte von Mechterstätt und nahete ihm, um an der gewohnten Stelle sein einfaches Mittagsmahl einzunehmen. Da sah er einen vorher niemals erblickten Hügel, in den führte ein Gang tief hinein, und aus dem Gange trat eine weiße, bleiche Jungfrau, mit einem Gesichte, auf welchem eitel Schmerz lag, und die sah den Hirten ganz seltsam und und wie flehend an. Ueber der Quelle aber erblickte der Hirte drei goldige Blumen an einem grünen Strauche, die pflückte sich der Hirte, und das traurige Antlitz der Jungfrau schien sich zu erheitern, wie er das that. Sie sprach zu ihm: Nun kannst Du mich erlösen, Du darfst nur dahinein gehen, und etwas mit herausbringen, doch darst Du darin nicht etwa das Beste vergessen. Darauf folgte der Hirte der Jungfrau in das Innere des Hügels, und kam durch viele Gänge und Kammern in einen weiten Raum, darinnen Gold und Edelsteine in Fülle sich befanden; auch gewahrte der Hirte eine zahlreiche Gesellschaft von Rittern und Ritterfrauen, die saßen bei einem reichen Mahle an vollbesetzten Tafeln, aßen und tranken, aber niemand sprach ein Wort, alles geschah so still und lautlos, daß man nicht einmal einen Athemzug vernahm. Dem Hirten grausete es, und er wandte sich zum gehen. Da fiel ihm das Geheiß der Jungfrau ein, etwas mit sich zu nehmen aus dem Schoose des Hügels, und da gewahrte er ein altes Trinkhorn, das hing unter 3 gekreuzten Schwertern an der Wand, und das wollte er herunternehmen, vermochte dieß aber nicht mit einer Hand zu thun, legte daher seine drei gelben Blumen aus der andern Hand auf den Tisch und nahm mit Hülfe beider Hände das Horn ab, und eilte von

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Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Erster Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Erster_Band.pdf/147&oldid=- (Version vom 1.8.2018)