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dannen, ohne der Blumen zu gedenken. Da hielt ihn die Jungfrau flehend auf, rufend: Vergiß, o vergiß das Beste nicht! Sonst muß ich ja unerlöset bleiben! – Er aber stürzte von Grausen überwältigt an ihr vorüber, dem Eingange zu, und achtete nicht auf den verhallenden Jammerruf der im Berge zurückbleibenden. Hinter ihm brauste es dumpf und gewaltig, wie Sturmgeheul und Meereswogengeroll. Kaum war der Hirte mit dem Horn im Freien, so that es einen grellen Donnerschlag hinter ihm und verschwunden war der Hügel sammt dem Blumenstrauche und aus der Tiefe schien ein Wimmern zu dringen, das er dann noch oftmals hörte, wenn er an jenen Brunnquell kam. Das alte Trinkhorn aber trug er auf die Wartburg zum Landgrafen, der ihm dafür eine stattliche Belohnung gab, und es in seiner Harnischkammer und Waffenhalle aufbewahren ließ, allwo es ohne Zweifel noch hängen wird.

85.
Graf Ludwig mit dem Barte.

Die letzten Sagen aus dem Gebiete des Hörseelenberges deuten nach der nahen Wartburg, und leiten zu einem neuen großen und reichen Sagenkreise hinüber, zu dem schönsten Poesiekranze, den das Thüringerland aufzuzeigen hat. So oft und viel ist die Wartburg und das Paradieß ihrer Umgegend in Liedern und Schriften gepriesen, sind die Sagen der Burg und Gegend verherrlicht, oft auch ausgeschmückt worden, daß es völlig genügt, ja daß es nothwendig erscheint, sie in möglichster alter, ungeschminkter

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Erster Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 140. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Erster_Band.pdf/148&oldid=- (Version vom 1.8.2018)