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und Standhaftigkeit – das war die unerschütterliche Liebe und Anhänglichkeit, welche ihr junger Verlobter, Ludwig, gegen sie stets an Tag legte, und von der ihn nichts abzubringen vermochte.

Zu dieser Zeit hatte der regierende Landgraf, Hermann, einen merkwürdigen Traum; er sah sich auf der Richtstätte vor Eisenach, und alle dort Hingerichteten waren zu Jungfrauen geworden, welche sich um die Mutter Gottes und die heilige Katharina geschaart hatten, die zu ihm sprachen: Auf dieser Stätte hier sollst Du uns ein Haus bauen, in das wir alle diese Jungfrauen versammeln wollen, und dann in Kürze auch Dich zu uns nehmen. Darauf verlegte der Landgraf sofort jenen Richtplatz an eine andere Stelle, und erbauete das St. Katharinenkloster, in welchem er nach seinem Tode beigesetzt zu werden verordnete. Wenige Jahre darauf, als das neue Kloster erbaut und eingeweiht war, starb der Landgraf. Jetzt wurde nun Hermanns Sohn, Ludwig, noch in sehr jungen Jahren stehend, Regent von Thüringen, konnte sich aber noch nicht vermählen, da seine zarte Braut erst im zwölften Lebensjahre stand. Um so reiner war das Verhältniß beider zu einander, gleichsam völlig geschwisterlich; sie nannten auch einander fast immer nur Bruder und Schwester, und Ludwig legte für sie die zärtlichste Zuneigung an den Tag, brachte ihr von jedem Fernsein von Wartburg irgend eine erfreuende Gabe mit, und erwarb sich als ein edler fürstlicher Jüngling von ausgezeichneten Eigenschaften des Geistes und Gemüthes das höchste Lob. Auch war er körperlich schön und wohlgestaltet, und wohlerfahren in allen ritterlichen Künsten. Da fehlte es nun freilich nicht an heimlichen Winken und Plänen, einestheils

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Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Erster Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 163. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Erster_Band.pdf/171&oldid=- (Version vom 1.8.2018)