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160.
Die Ruppbergs-Jungfrauen.

Ein Nachbar des großen Hermannsberges ist der Ruppberg, der spitzeste und zuckerhutförmigste unter allen Bergen der Thüringerwaldkette. Zwischen beiden Bergen liegt der Donnershauk, eine aussichtreiche, unbewaldete Höhe. An ihm entspringt „der kalte Brunnen“. Auf dem Ruppberge stehen hohe Porphyrfelsen nackt zu Tage; auch dort soll einst ein Schloß gestanden haben, und vieles weiß die Sage nicht nur von einer Ruppbergs-Jungfrau, sondern von mehrern, zu erzählen, die aber nicht stets zusammen erscheinen, sondern bisweilen eine allein, bisweilen zwei, bisweilen auch drei. Ist letzteres der Fall, so haben sie gewöhnlich einen Weich (eine Wäsche) die sie dann auf einsamen Waldwiesen ausbreiten und trocknen. Alle diese Sagen von Wäschen und Leinen bleichen deuten auf Flachspflege, auf spinnen und weben hin – alle diese Jungfrauen sind Dienerinnen der Hulde, ebenso jene, welche Leinknotten in der Sonne klengen, den Saamen des Flachses – gleichsam die Priesterinnen der deutschen Frauengöttin im Tempelvorhofe. Zu dem Bärenbacher Hirten, der am „kalten Brunnen“ unterm Donnersberge hüthete, kam eine der Ruppbergs-Jungfrauen und zeigte ihm einen Stein und sagte ihm, daß unter diesem Steine ein großer Schatz ruhe; er solle nur den Stein und dann den Schatz heben, so werde er sie aus ihrer Pein erlösen. Der Hirte ging hin, und wollte dem Gebote Folge leisten, aber da fand er eine große Schlange auf dem Steine liegend, die sich mit aufgesperrtem Rachen zischend gegen ihn aufbäumte. Zaghaft entfloh er –

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Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Zweiter_Band.pdf/18&oldid=- (Version vom 1.8.2018)