Seite:Ludwig Bechstein - Thüringer Sagenbuch - Zweiter Band.pdf/24

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

zum Abendmahl gehen! fuhr der Alte fort, aber die Knappen verwunderten sich, und antworteten ihm: Heute wird kein Abendmahl gehalten, heute ist kein Sonntag und kein Kirchgang. Sie nahmen aber den seltsamen Alten mit aus der Grube, und führten ihn, weil er fest darauf bestand, nach der Kirche, ihrer einer aber lief, und holte den Pfarrer. Dieser reichte dem alten zitternden und todbleichen Bergmann das Mahl der Versöhnung, und wie er es empfangen hatte, sank er leise in sich zusammen, seine Kleider zerfielen in Staub und Mulm und sein Leib war ein Häuflein Asche.




164.
Das Pfäffchen.

In der Kirche zu Heinrichs, die in der Zeit des dreißigjährigen Krieges durch ihre Bildwerke und einen kunstvollen Reliquienschrein mit einer Mumienhand der von Kroaten ihr drohenden Zerstörung durch Brandstiftung entging, geht der ruhelose Geist eines vormaligen Pfäffchens um, welcher in keinesweges liebholder Gestalt erscheinend, die Eigenschaft hat, alle Welt küssen zu wollen, vielleicht weil er im leiblichen Leben schon kußseliger Neigung war, wie es solche Leute mitunter zu geben pflegt. Dasselbe hütet einen Schatz, und kann nur dann erlöst werden, wenn es von jemand dreimal geküßt wird. Einen Cantor verfolgte dieses Gespenst unablässig, erschien ihm, wenn er in die Kirche ging, sehr häufig, suchte ihn zu umarmen, und versprach dem sich stets sträubenden reicher als alle reichen Leute in Heinrichs zu machen, doch stets vergebens. Wenn

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Zweiter_Band.pdf/24&oldid=- (Version vom 1.8.2018)