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zu locken, doch soll ihr dieses mit Nichten gelungen sein, wol aber kennt man noch zwischen Jena, Mellingen und Magdala eine Stelle, an welcher jener kunstvoll gezauberte Brunnenpalast stand, und will auch noch zu Zeiten den Hirsch mit dem goldenen Geweihe im Morgen- oder Abenddämmer streifen sehen, bald mit, bald ohne seine dämonische Reiterin.




377.
Der Riesenfinger.

Hoch über Jena erhebt sich der schroffe Hausberg, auf welchem einst stattliche Burgen standen, die den Grafen von Kirchberg gehörten, aber jetzt fast ganz verschwunden sind. Aus früher Zeit klang auf die Nachwelt die Sage, einst habe ein Riesengeschlecht in dieser Gegend gehaust, und ein junger Riese habe sich beigehen lassen, seine Mutter, die ihm zum Zorne gereizt, zu schlagen. Alsbald sei das Haus über ihn zusammengebrochen und habe ihn bedeckt und erschlagen, aus dem Trümmerhaufen sei dann der Hausberg entstanden, dessen Gipfel entrage aber, ein Warnungszeichen für ewige Zeiten, des Riesen Zeigefinger. Dieser Finger ist der Fuchsthurm, die hohe, weit sichtbare Warte des bedeutendsten der Kirchbergischen Schlösser. In diesem Thurms saß einst der große Konrad von Wettin als ein Gefangener Heinrichs des jüngeren, Markgrafen von Meissen, den und dessen Mutter Konrad arg beschimpft hatte, indem er angab, Heinrich sei der Sprößling eines Koches. Und wo saß der Markgraf Konrad? Er saß in einem großen eisernen Käfig als eine rara avis, und der Käfig hing außen am Thurme, und der Vogel wurde dort eine ziemliche Zeit gefüttert, bis Heinrichs Tod ihn erlöste.

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 240. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Zweiter_Band.pdf/242&oldid=- (Version vom 1.8.2018)