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noch andere. – Schon in frühen Zeiten nach des Kaisers verschwinden sagten alte Leute, Kaiser Friedrich lasse sich zu Zeiten sehen, als ein Waller oder Pilgrim, etwa wie der ewige Jude, oder es seien einzelne Menschen von Gezwergen in den Schooß der unterirdischen Kaiserburg hinabgeführt worden, die haben den Kaiser im Halbschlummer träumend nicken sehen, an einem Steintisch sitzend, um dessen Fuß sein rother Bart schon zweimal herumgewachsen. Und der Kaiser habe selbst gesagt, er harre einer Zeit: wann sein rother Bart zum drittenmale um den Stein reiche, und die Raben nicht mehr um die graue Warte der Kaiserburg fliegen würden, da wolle er aufstehen und wiederkehren, und aufs neue gewaltig werden. Des deutschen Reiches versunkene Herrlichkeit wolle er dann glorreich erneuern, – er wolle das thun, daß andere es machen sollten, irgendwo, das hat er nicht gesagt – er wolle das heilige Grab aus Heidenhand befreien, die Uebermacht der Pfaffheit störend brechen, und nach einer großen Siegesschlacht seinen Schild hangen an den Ast eines dürren Birnbaumes, der dann wieder üppig grünen solle. Er wolle das Reich an Frieden reich machen, treu seinem Namen, für alle gleiches Recht erstreiten. Und gar oft, so ging die fernere Sage, habe der alte Kaiser, wenn jemand von der Oberwelt ihm genahet, gefragt, ob die Raben noch um den Thurm fliegen? und wenn, wie immer, die Antwort lautete: Ja, sie fliegen noch, so habe er seufzend geantwortet: So muß ich aber hundert Jahre schlafen! – und sei alsbald wieder in seinen Zauberschlummer versunken. Das Volk aber harrte von einem Jahrhundert zum andern treugläubig auf des alten Heldenkaisers Wiederkehr, und gab der grauen, rabenumflogenen

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Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 251. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Zweiter_Band.pdf/253&oldid=- (Version vom 1.8.2018)