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395.
Die drei Rebhühner.

Auf dem Thurme der Obermarktskirche zu Mühlhausen erblickt man drei Vögel, von denen die Sage Folgendes erzählt: Zwei Bürger führten Proceß mit einander um Mein und Dein, um ein bedeutendes Erbe. Lange blieb dieser Proceß unentschieden, das wußten die Anwalte schon zu karten, darüber sank aber der eine Bürger, auf dessen Seite das Recht war, gänzlich in Armuth, zumal sein eigener Anwalt zuletzt sich von dem Gegner bestechen und gewinnen ließ. Da nun eines Tages der Unterdrückte abermals den Anwalt besuchte, um mit ihm über den Proceß zu sprechen, so traf er denselben bei einer Schüssel voll gebratener Rebhühner, dieselben schmausend und dazu wacker zechend, an. Als nun jener unterdrückte Bürger, dem man sein Recht absprechen wollte, wieder von seiner Sache zu reden anhub, und sagte, daß er im Rechte sei, so sprach der Anwalt: Ihr seid so wenig im Rechte, als diese Rebhühner hier lebendig sind. So wenig diese Federn haben und fortfliegen, eben so wenig werdet ihr gewinnen, weil Ihr im Unrechte seid. – Hatte kaum das Wort gesprochen, so gewannen die gebratenen Vögel, so viel ihrer noch in der Schüssel lagen, nämlich drei, Federn und Leben und flogen aus der Schüssel und zum Fenster hinaus und auf den Thurm. Da erkannte der Bürger, daß der Anwalt ein Schalk war, und der Anwalt erblaßte, und that nun des Bürgers Recht offenkundig dar, so daß derselbe in den Besitz seines rechtmäßigen Eigenthumes gelangte.

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 264. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Zweiter_Band.pdf/266&oldid=- (Version vom 1.8.2018)