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Heiligenstadt.

Heiligenstadt, die Hauptstadt des Eichfeldes, bewahrt uralten Ruhm. Es geht die Sage, daß schon der Franken-König Dagobert, von einer schlimmen Aussatzkrankheit befallen, in dieses Landes Einöde gezogen, vor aller Welt sich zu verbergen, nachdem er die Regierung seinem Sohne und treuen Räthen übertragen, und daß er in dieser Gegend eine Kapelle erbaut, und sie der heiligen Jungfrau und Sankt Petrus geweiht habe. Auf einem Jagdgange ermüdet, legte sich König Dagobert in das Gras des Waldes, und entschlief. Und als er erwachte, befand er, daß überall, wo des Grases Thau seinen Körper benetzt hatte, der Aussatz hinweggeschwunden war. Freudig kündete der König seiner Gemahlin, die ihn begleitet hatte, dieses Wunder, und auf ihren Rath wiederholte er den Schlummer im thaufeuchten Waldgras, und ein Traum offenbarte ihm dann, daß da, wo er geruht, die Gräber zweier Heiligen, Aureus und Justinus, befindlich seien, welche zu Mainz dem Gefängnisse, in das König Etzel oder Attila sie hatte werfen lassen, entkommen waren, leider aber nur um noch größere Verfolgung und Pein zu erdulden, und endlich nach vielen von ihnen geschehenen Wundern hier Martyrertod und Grab zu finden. Da sprach König Dagobert, der nun völlig heil geworden: Hier ist der Heilung und der Heiligen Statt, ließ den Wald fällen, über der Heiligen Gräber ein Münster bauen, das er unter den Bischofsitz Mainz stellte, ordnete 12 Chorherren hinein, und nach und nach entstand eine Stadt daselbst, welcher der Name Heiligenstadt verblieb, abgeleitet von jener heiligen Stätte.

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Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 263. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Zweiter_Band.pdf/265&oldid=- (Version vom 1.8.2018)