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Das Wahrzeichen.

Als einst zwei Brüder, Wolfer und Lutger genannt, zusammen auf dem Oberschlosse wohnten, kamen sie mit einander einmal in Streit, der so heftig wurde, daß sie schwuren von einander zu ziehen und die Güter zu theilen. Und das geschah denn auch. Schon waren sie mit theilen fertig geworden, als der jüngere der Brüder, Lutger, der die Burg verlassen sollte, auf den Berg deutend, wo jetzt Niederkrannichfeld steht, sagte! „Dorthin will ich mir meine Burg bauen!“ Wolfer lachte spottend darüber und antwortete: „Wenn Du auf diesen Berg eine Burg bauest, so will ich mir etwas thun, was keiner thut und kann.“ „Topp!“ sprach Lutger: „ein Ritter hält sein Wort!“ und der Vertrag wurde sogleich schriftlich aufgesetzt und unterschrieben.

Aber Lutger baute wirklich zum großen Erstaunen und Schrecken Wolfer’s eine gar stattliche Burg, die jetzige Niederburg, und war grausam genug, darauf zu bestehen, daß sein Bruder die Bedingungen des Vertrags erfüllen mußte, obschon er damit auch das Leben ließ. Lutger kam dadurch zugleich in den Besitz der Oberburg und des dazu gehörigen die Oberherrschaft ausmachenden Landes. Zum Andenken ließ der schändliche Bruder den Wolfer in der gewungenen Stellung an einen Erker des Oberschlosses in Stein hauen, was man noch heute als „Wahrzeichen“ zeigt und sieht. Auf diese Weise entstand Niederkrannichfeld.

Man hat auch von dieser Sage noch andere Abwandlungen. In der Liebfrauenkirche zu Arnstadt ist ein ähnliches

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 284. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Zweiter_Band.pdf/286&oldid=- (Version vom 1.8.2018)