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Steingebilde hoch am Sockel einer Gewölbrippe angebracht.




411.
Das Scherflein der Wittwe und das Mönchsbild.

Einige Stunden über Krannichfeld liegt Stadtilm, die zweite Stadt, der die Ilm ihren Namen lieh. Der Bau der Stadtilmer Kirche mit ihren malerischen Thürmen, welche ein Gang verbindet, den man scherzhaft die höchste Brücke in Thüringen nennt, wurde meist durch die Beisteuer der Einwohner gefördert. Ein Mönch, der die Gaben der Bürger sammelte, kam auch zu einer Wittwe, die mit sechs Kindern ein kleines Häuschen bewohnte; sie war sehr arm, aber zu so frommen Zwecke nahm sie ein einziges von ihrem Manne ererbtes und heilig aufbewahrtes Goldstück aus der Truhe und übergab es dem Mönche, der ihr zusicherte, Gott werde es an ihren Kindern vergelten, und sie bei ihnen das Geld wiederfinden. Aber statt es der Kirchenkasse zu überliefern, schenkte der Mönch das Gold einer Dirne, und erwähnte, als er nach dem Meßopfer die Beiträge verlas und die Geber segnete, gar nicht der frommen Wittwe. So wie er aber die Hand erhob, so wurde er urplötzlich durch eine unsichtbare Hand aus der Kirche, die noch nicht durch ein Dach bedeckt war, entrückt. Dabei brauste ein furchtbarer Sturm. Alles Volk erkannte Gottes strafende Hand, es wurde an der Stelle, wo der Betrüger über die Mauer entrafft worden war, ein Stein gesetzt, auf dem der Meister den Mönch in des Teufels Krallen bildlich darstellte.

Nach einigen Jahren war der Kirchenbau vollendet.

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 285. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Zweiter_Band.pdf/287&oldid=- (Version vom 1.8.2018)