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Da man bei der Einweihung zu großen Andrang fürchtete, so ward verordnet, daß die dem Altare nächsten Plätze denen offen stehen sollten, welche Gaben zum Tempelbau beigesteuert. Auch die Wittwe mit ihren Kindern wollte dies Recht in Anspruch nehmen; sie wurde aber zurückgewiesen, weil ihr Name nicht auf dem Verzeichnisse der milden Geber stände. Wie sie den Mund aufthat sich zu vertheidigen, da hob plötzlich das steinerne Bild des Mönchs zu reden an, bekannte die Sündenschuld und Strafe und forderte für die Wittwe einen Ehrenplatz. Sie erhielt ihn, und einer ihrer Knaben fand, als der Segen ertheilt wurde, das Goldstück in seiner Tasche.

Von Stund an wurde der Wittwe die Verwaltung des Gotteskastens übertragen, und dieses Amt soll lange bei ihrer Familie geblieben sein.




412.
Vom Singerberge.

Ueber Stadtilm, gegen Ilmenau zu, erhebt sich aus dem friedlichen Ilmthale, zwischen diesem und dem Dorfe Singen, der hochragende, oben mit einer weitgebreiteten grünen Matte ohne Waldung bedeckte Singerberg. Ob das Dorf ihm den Namen gab, oder er dem Dorfe, isi unerörtert, aber der Berg ist, wie er vereinzelt, eine Vorwarte des Waldes gleichsam gegen die Thüringer Platte weit sichtbar vortritt, ein Hauptpfeiler der heimischen Sage, und es wiederhallen an und in ihm im bunten Gemische die Hörseelenberg-, Hermannsberg-, Kiphäuser- und andere Sagen, die sich um bedeutende Hochgipfel des Landes

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 286. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Zweiter_Band.pdf/288&oldid=- (Version vom 1.8.2018)