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ein Volk gutartiger Zwerge, die Bölersmännchen, wohnte darin, und gehorchte einem Könige, des Namens Böler. Bei diesem so ungewöhnlichen Zwergnamen könnte man sich fast versucht fühlen, an den Bölverker der Eddadichtung zu denken, der ein Bergloch bohrte, in das er, verwandelt in einen Wurm, einschlüpfte, und der kein anderer war, als Odin selbst — wenn es überhaupt denkbar wäre, daß ein früher Nachhall der Eddamythe sich bis in diese Gegend verloren hätte. Ein Felsen im Jonasthale heißt der „Königsstuhl“, und eine hohe, breite und senkrecht abschüssige Felswand in demselben Thale heißt „der Jungfernsprung“ — weil einst ein Riese oder ein Ritter eine Jungfrau verfolgte, die in ihrer Noth und um ihre Ehre zu bewahren, die steile Felswand hinabsprang. Engelhände schirmten sie und trugen sie sanft nieder, der Verfolger aber, der unbedacht nachsprang, zerschmetterte im tiefen Abgrunde. Einst soll der Wind von oben einen Arnstädter Currentschüler hinabgeweht haben, der Schüler aber, von seinem weiten Mantel getragen, unverletzt drunten angelangt sein.

Alte Leute haben versichert, daß sie noch Bölersmännchen droben im Thalgrunde haben ihr Wesen treiben, auch im Mondscheine sie ackern gesehen haben, jetzt zeigen sie sich nicht mehr. Die Zwerge sind fort und die Riesen sind dahin. Die Ribbe des letzten Riesen war oder ist noch aufgehangen über dem Portale der Liebfrauenkirche bei Arnstadt, und sein steinerner Löffel, der „Riesenlöffel“ genannt, steckt noch neben dem Kessel desselben, der jetzt der Kesselbrunnen heißt, am Fuße des „Arnsberges“.

Seitwärts des Dorfes Espenfeld liegt ein anderes Dorf Bittstätt, und früher, wie man sagt, Betstätte geheißen.

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Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 299. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Zweiter_Band.pdf/301&oldid=- (Version vom 1.8.2018)