Seite:Ludwig Bechstein - Thüringer Sagenbuch - Zweiter Band.pdf/4

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Schlüsselbunde am Gürtel sehen, wandelt den Schloßberg herab, badet sich im Hörlingsbrunnen, und geht dann wieder hinauf. Solche Jungfrauenerscheinungen auf und an Schloß- und Burgbergen, zumal wenn die Sage mit ihnen das baden in einem nahen Brunnen, Weiher oder Teiche verbindet, deuten stets nach der früheren mythischen Zeit, wir aber vermögen sie kaum zu deuten. Ob diese Jungfrau gleich andern, die ihr gleichen, auch Schätzehütherin, hörte ich noch nicht aussprechen, wol aber sind der Sagen von reichem Gut in den Bergen dieser Gegenden viele vorhanden, und auch sie sind oft nur Nachhalle ungleich älterer Sagen von manchem Goldhort. Im Kienberge, hinter dem Stutzhaus im Ohrathale fand sich, nach alten Walenbüchern, Gold und Silber, Kupfer und Zinn; Quellen und die Ohra selbst werfen Goldkörner aus; bei Schwarzwald heißt ein Brunnen noch der Goldborn, bei Ohrdruf ein Berg noch der Goldberg. Auch mythische Namensanklänge fehlen der Gegend nicht. Ein Hof zwischen Ohrdruf und Wölfis heißt Herda, nahe dabei die Harth, ein Gehölz; der heilige See, eine Moorwiese. Ob der Dorfname Dietharz, thalaufwärts über Ohrdruf, wie manche früher gethan haben, auf einen Gott zu deuten sei, bleibe dahin gestellt; Diet ist mittelhochdeutsch so viel als Leute, Volk, („gerndes Diet“ Bettelleute, Spielleute, Sänger,) aber auch zu Dietharz soll Bonifacius eine Kirche gebaut haben. Ohnweit davon liegt eine Felshöhle: das Hülloch (Heulloch), wieder mit dem halbverklungnen Nachhall alter Sagen, daß man in ihm Geheul und Geschrei verdammter Seelen vernommen, was aber die verjüngende Sage weit späterer Zeit zugeeignet und so umgeformt hat, daß darinnen von vor Kriegsdrangsalen

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Zweiter_Band.pdf/4&oldid=- (Version vom 1.8.2018)