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Ludwig Hevesi (1843-1910): Ludwig Speidel, Schriftsteller

schrieb. Er hätte sie vermutlich nicht einmal aufgehoben, denn einmal aus der Feder, waren sie für ihn nicht mehr vorhanden. »Ich habe nie eine Korrektur gelesen«, sagte er mir, »und nie ein gedrucktes Feuilleton wieder angesehen.« Seine Frau war die Vorsehung dieser Wertpapiere, die sie sorglich ausschnitt, in Päckchen band und so in einer gewissen alten geschnitzten Truhe einsargte, zu fröhlicher Urständ, irgend einmal in posthumeren Zeiten. Daher ist auch die Lebensarbeit Sp.s einstweilen nicht zu übersehen. Er existiert, so weit sich die Abonnenten der »Neuen Freien Presse« und des Wiener »Fremden-Blatt« erinnern. Und die große Gemeinde der Kaffeehausleser. In Wien, in Österreich, war Sp.s literarische Geltung von Anfang bis zu Ende unbestritten. Sein schriftstellerisches Genie siegte, wie es wollte. Der Kritiker allerdings wurde von Parteigegnern mit einer Erbitterung verworfen und nach Möglichkeit schlecht gemacht, die eben auch wieder beweist, wie schmerzlich er ihnen alle die Jahre her wehgetan. Es waren die Kämpfe um die neue Musik. Sp.s intransigente Stellung gegen Wagner, wie später gegen Brahms, zog ihm die heftigste Gegnerschaft zu. Eine Generation stand wider ihn in Waffen, aber er wich nicht. Die Psychologie dieser Naturerscheinung wird dem Leser später klarer werden. Eduard Hanslick, die geschmeidigere Natur, wußte sich eher Brücken zu bauen für gelegentlichen Rückzug von allzu verlorenem Posten. Sp. konnte kraft seiner ganzen Natur nicht anders; gewisse bêtes noires waren für ihn absolut nicht weiß zu waschen. Und sein ästhetischer Mensch wurzelte eben überhaupt in sehr konservativer Zeit. Er war um ein Vierteljahrhundert zu früh geboren, mitten in eine schale, saftlose Epigonik hinein. Als Theaterkritiker, der er doch hauptsächlich wurde, hatte er eine Tagesproduktion vor sich, bei der das Spiel die Kerze nicht wert war. Er stand so hoch über alledem, wie ein Billroth, der König des Messers, über seinem klinischen »Material«. Er kritisierte in anima vili. Das macht auf die Dauer souverän und absolut. Und stößt er dann in der flachen Öde auf ein echtes Ungetüm, so jauchzt er hell auf ob der gottgesandten Aventiure und besteht den Drachen, oder auch den fremden Helden, mit Feuer und Schwert in funkenstiebender Kampfeslust. Erlegen kann er ihn nicht, aber er hat gekämpft, hat sich ausgetummelt in schneidigem Tournament. Kurzsichtige nennen ihn dann kurzsichtig, Blinde blind, Ungerechte ungerecht. Denn er ist ein Kritiker, und wer wäre der Kritik mehr ausgesetzt als dieser? Aber er war nur ein Echter, Voller, eine Vollnatur, die nichts vermag wider sich. Er lebt sich naturgemäß aus in grimmiger Fehde gegen Große und Größte, die ja das nämliche tun. Ich kann nicht anders, als ich kann.

Ludwig Speidel war zu Ulm geboren, am 11. April 1830. Sein Vater hieß Konrad, seine Mutter Anna, eine geborene Steiner. (Die allerersten Artikel Sp.s erschienen unter dem Namen Steiner.) Konrad Speidel war Musiklehrer mehrerer Generationen und erbte sich in Ulmer Bürgerfamilien so fort, auch als Vertrauensmann für alles und jedes. Sein ausführlicher Nekrolog in der »Ulmer Schnellpost«, von Sonntag, dem 1. Februar 1880, schildert ihn als Mann von musterhafter Tüchtigkeit. Er war am 16. September 1804 im Dorfe Söflingen bei Ulm als Sohn wenig bemittelter katholischer Eltern geboren. Die Musik regte sich in ihm früh. Mit fünfzehn Jahren trat er in die »Brigademusik« ein und ging mit zwanzig Jahren, schön und stimmbegabt,

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Ludwig Hevesi (1843-1910): Ludwig Speidel, Schriftsteller. Reimer, Berlin 1908, Seite 194. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Speidel,_Schriftsteller.pdf/2&oldid=- (Version vom 1.8.2018)