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ist das Gestühlte weggerissen; da sangen die Knochenhauer andern Tages: „der Strick ist entzwei, und wir sind frei.“ Sie sind aber ehrliche und fromme Bürger geblieben.


78. Das mitleidige Crucifix.

Im Jahr 1383, Freitag vor S. Viti, hat man einen jungen Gesellen aus Lübeck geführt, daß er henken sollte. Nun stand damals bei Sanct Gertruden ein Crucifix in einer kleinen Kapelle von Mauersteinen; wie er aber daselbst, als denn gebräuchlich war, niedergeknieet und inbrünstig um ein Zeichen seiner Unschuld gebeten: da hat sich das Haupt des gekreuzigten Heilandes, welches bis dahin auf den Arm gelehnt war, emporgerichtet und dem Verurtheilten wehmüthig nachgesehn. So blieb es auch bestehn und blickte seitdem nach dem Galgen hinüber. Da liefen nachher viel tausend Bürger hinaus, und bauten ein Kirchlein um das Bild, das zum heiligen Kreuz genannt wurde; und es geschahen dort große Wunder.

Die Kapelle ist später bei der Befestigung des Burgthors niedergerissen; aber die vergüldete Platte, die daran befestigt war, hat sich eine Zeitlang noch in einem Kramhause der Burgstraße, wo ein Antoniusbild über der Thür stand, erhalten.

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Ernst Deecke: Lübische Geschichten und Sagen. Carl Boldemann, Lübeck 1852, Seite 147. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Luebische_Geschichten_und_Sagen.djvu/153&oldid=- (Version vom 1.8.2018)