1173. Als Herzog Heinrich der Löwe aus dem gelobten Lande zurückkam, hielten Bischof und Kapitel von Lübeck inständig an, daß auf die Domthürme zwei schöne hohe Spitzen gesetzt werden möchten. Der Fürst willigte ein, und die beiden Spitzen wurden von zwei Meistern, Vater und Sohn, gebaut. Nun ward des Sohnes Spitze viel künstlicher und zierlicher, und das Lob darüber verdroß den Vater hoch: doch hielt er’s im Herzen verborgen. Unlängst danach, als er mit dem Sohn und anderen Arbeitern hinuntergehen will, spricht er zu dem ersteren: „Lieber, steig’ aus dem Fenster und hol’ mir die Axt, die ich dort auf dem Balken zwischen den Thürmen vergessen.“ Der Sohn geht hin; als er aber mitten auf den Balken kömmt, krigt er einen Schwindel ins Haupt, also daß er hinunterstürzt und sich zu Tode fällt.
Damit ist der bösewichtische Vater allein Meister geblieben. Aber der Thurm, den er gebaut, muß immerfort ausgebessert werden.
Ernst Deecke: Lübische Geschichten und Sagen. Carl Boldemann, Lübeck 1852, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Luebische_Geschichten_und_Sagen.djvu/23&oldid=- (Version vom 1.8.2018)