1524 ungefähr hat sich in der Johannisstraße, wenn man hinuntergeht rechter Hand, auf einem Armenhofe folgendes Mirakel zugetragen. Es wohnten da nämlich in einigen Buden ein paar alte Mütterchen oder Wittwen, darunter eine, die seit langen Jahren so taub war, daß sie nicht hat hören können, wenn man auch noch so laut schrie. Nun weiß wohl Jeder, daß solche Leute allewege der Meinung sind, daß, wenn zwei oder drei zusammen reden, von ihnen gesprochen wird: so hat denn auch diese Frau sich heftig darüber geärgert, wenn ihre Nachbarinnen im Gespräch beisammen gestanden. Dann ist es ihr auch sehr schmerzlich gewesen, wenn Andere zur Kirche gegangen sind, weil sie selbst dort nichts hat vernehmen können. Solches hat nun die gute Frau so unrustig gemacht, daß sie einmal des Abends auf ihr Kämmerlein geht, vor dem Bett in die Knie fällt, bitterlich zu weinen anfängt, und zu dem treuen Gott inbrünstig fleht: er möge sie von ihrer Taubheit erlösen; dafern sie aber mit einem Kreuz beladen bleiben solle, wollte sie lieber mit Blindheit gestraft sein. Mit diesem Seufzen, Karmen und Beten legt sie sich zu Bette.
Was geschieht? Nachdem sie bis 7 Uhr des andern Morgens geschlafen, ist es vor ihren Augen finster,
Ernst Deecke: Lübische Geschichten und Sagen. Carl Boldemann, Lübeck 1852, Seite 296. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Luebische_Geschichten_und_Sagen.djvu/302&oldid=- (Version vom 1.8.2018)