Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band | |
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Von Mariazell geht die Straße abwärts durch tiefe Thäler, wo Bergwerke, Eisengießereien, Hütten- und Hammerwerke ein regsames Leben zeigen, den hohen Seeberg hinan, und von da zwischen Gebirgswüsten hin, in denen der Schnee bald in breiten Feldern aufgeschichtet ist, bald sich in langen Streifen an den dunkeln Granitrücken niederschlängelt. Es ist hier schon vollkommene Hochalpenwirthschaft. Mehre Sennhütten liegen auf den grünen Matten in geringer Entfernung vom Wege, und das Geläute der weidenden Heerden, das melodisch durch die Gebirge forttönt, die Wolken, die unter dem Reisenden an den Bergen hinziehen und wie eine graue Scheidewand die niedrigere Erde von den reinen Regionen, in denen er wandelt, und dem lichtblauen Himmel trennen, wiegen ihn in süße Träume von Ruhe und Abgeschiedenheit. Doch bald geht’s wieder bergunter, und die Hammerwerke des Seebacher Grundes wecken den Träumer in’s thätige Leben zurück. Das tiefe Thal wird bei Terl, zwei Posten von Grätz, zur Schlucht, die ihre Felswände so eng zusammenrückt, daß nur für den wilden Waldstrom und die Kunststraße Raum bleibt. Immer abwärts windet sie sich bis Bruck, der letzten Station, und von da bis Gratwein zeigt sie noch einmal alle Schönheit der Felsennatur. An zum Theil senkrechten Wänden, welche die Zeit mit Moos und Schlingpflanzen bekleidete, rieseln hier und da Quellen herab, und an mehren Stellen ist das Gestein tief ausgehöhlt und zu Grotten gebildet. An einer Stelle ist die Straße durch den Felsen gesprengt und macht einen Hohlweg. Dumpf rollt der Wagen auf glattem Felsengrunde hin, den alte Eichen von hoher Bergwand überschatten und plötzlich bricht, bei einer Wendung des Weges, der Blick in ein weites, fast rundes Thal, aus dessem Mitte sich der Grätzer Schloßberg erhebt, und an dessem Abhang siehst du die Stadt selbst, dein Ziel.
Der Bergkessel, von welchem Grätz umschlossen wird, ist ein wahrer Zauberkreis, in welchem die freigebige Natur Schönheiten der mannichfaltigsten Art versammelte. Schlängelnd durchzieht ihn die Mur, wie ein vielgewundenes Silberband, an welches sich Mühlen und Fabriken, Gärten und Landhäuser, Kornfelder, Triften mit Baumgruppen, bunte Wiesen und Rebenhügel reihen. Außerhalb des Kreises machen ein paar einzelne Berge gleichsam die Wacht und auf mehren stehen alte Burgen, oder blinken Kapellchen. Aber tiefer im Hintergrunde steigen die Bergterrassen empor, wie die Wellen eines sturmgepeitschten Meeres, bis sich der Blick in die Gletscherwelt der Hochalpen verliert. So blickt der innere Mensch über das bunte Erdenleben hinaus in die Ewigkeit. –
Grätz ist römischer Gründung. Es theilte das Schicksal der meisten Römercolonien dieser Gegenden, wurde in der Völkerwanderung zerstört und erscheint erst im 9. Jahrhunderte wieder als Stadt. Ihre vortheilhafte Lage im Mittelpunkte des Steyerischen Landes erhob sie, als dieses seine eigenen Fürsten bekam, im 11. Jahrhundert, zur Residenz und Hauptstadt. Nach dem Aussterben des Herzogsgeschlechts, mit Ottokar dem Sechsten, kam das Land an Oesterreich. – Gegenwärtig ist die Stadt eine der schönsten und freundlichsten in Deutschland, und sie zählt in 2700 meistens wohl gebauten Häusern über 40,000 Bewohner. Die eigentliche, die alte Stadt, ist theils durch den Strom,
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1838, Seite 217. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_5._Band_1838.djvu/225&oldid=- (Version vom 6.11.2024)